Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
Vom Netzwerk:
Poupette, übernimmt Louise, ein Kindermädchen
     wie viele andere in den Häusern der französischen Bourgeoisie. Mit ruhigem Gemüt und geschickten Händen tut sie alles Nötige
     für Simone, ohne jemals zu schelten oder sonst irgendwie laut zu werden. Die junge Mutter hingegen ist eine vom Geheimnis
     umhüllte Königin, fern und unnahbar mit ihrem zarten Lächeln und derweichen Haut. Der Vater geht morgens aus dem Haus, eine Tasche voller Akten unter dem Arm und ein fröhlich verschmitztes Lächeln
     in den blauen Augen. Völlig aufgehen kann Georges de Beauvoir in seinem Beruf nicht, viel zu gern streift er dilettierend
     in den Gefilden des Geistes umher. Von seinem religiösen Empfinden her sieht er sich als Agnostiker, während seine Frau einen
     starken Bezug zum katholischen Glauben hat und Simone schon sehr früh damit vertraut macht. Die Großmutter mütterlicherseits
     und deren Schwester geben sich häufig mit ihrer Enkelin ab und verwöhnen sie.
    Sehr zum Ärgernis der Eltern neigt Simone zu Wutanfällen, die sich oft hemmungslos entladen. Verbote und Gebote erscheinen
     ihr unsinnig und sie reagiert extrem: »Überall traf ich auf Zwang, jedoch nirgends auf Notwendigkeit. Im Innersten des Gesetzes,
     das steinern auf mir lastete, ahnte ich schwindelerregende Leere. In diesem Abgrund versank ich dann unter ohrenbetäubendem
     Geschrei. Indem ich mich strampelnd zu Boden warf, stemmte ich mich mit dem Gewicht meines Leibes gegen die nicht zu fassende
     Macht, die mich tyrannisierte; ich zwang sie dazu, Gestalt anzunehmen: man packte mich, sperrte mich in die dunkle Kammer,
     wo sonst Besen und Staubwedel waren   ...« 2
    Simone unterscheidet zwischen Zwang und Notwendigkeit, sie weigert sich, sich zu unterwerfen, und bringt ihr starkes Ich zur
     Geltung. In den kindlichen Wutausbrüchen kündigt sich bereits etwas an, das später in Simone de Beauvoirs Philosophie zum
     Hauptthema gemacht werden wird: Wie ist es möglich, seine persönliche Freiheit zu bewahren? Welche Aufgabe hat das Bewusstsein
     in der Auseinandersetzung mit der Welt? Hier, in dem spontanenSich-zur-Wehr-Setzen der Person gegen die Übermacht der anderen, hat man den Eindruck, Simone übe sich darin, Ich-Stärke zu
     zeigen. Natürlich ist sie in diesem Stadium die Unterlegene, die Eltern beugen ihren Willen, und ihr bleibt nichts anderes
     übrig, als schmollend in der Ecke zu sitzen. Es brodelt etwas in diesem Mädchen, daran kann kein Zweifel sein.
    Von Simones elftem Lebensjahr an wohnen die Beauvoirs in einer bescheideneren Wohnung in der Rue de Rennes, weil der Vater
     den größten Teil seines in russischen Aktien angelegten Vermögens im Ersten Weltkrieg verloren hat. Ein Mädchen kann man sich
     nun nicht mehr halten, und die Mutter leidet sehr unter der Arbeit, die sie fortan allein zu verrichten hat. Simone macht
     die Geldknappheit nur in Maßen zu schaffen, im Gegenteil: Die Familie kümmert sich jetzt stärker um kulturelle Werte, wovon
     das Mädchen außerordentlich profitiert. An Büchern fehlt es nie, sodass der Mangel an Luxus und schönen Kleidern nicht ins
     Gewicht fällt.
    Simone erlebt alles mit sehr wachen Sinnen und macht sich früh ihre Gedanken dazu. So nimmt sie auch den Glauben der Mutter
     nicht einfach demutsvoll und naiv an, sondern reflektiert über Gott und welche Rolle die Menschen für ihn spielen. »Er kannte
     alle Dinge auf seine Art, das heißt absolut. Aber es kam mir doch vor, als brauche er gewissermaßen meine Augen, damit die
     Bäume Farbe bekämen.« 3 Simone de Beauvoir ist eigentlich noch Kind und hat doch schon höchst eigenwillige und tiefgründige Gedanken. In der Reflexion,
     wie früher in den Anfällen von Trotz und Wut, zeigt sich die große Bedeutung, die das Ich für sie einnimmt. Die Welt käme
     offensichtlich ohne den Menschen nicht aus. Sie braucht ihn, seineSinne, sein Bewusstsein, um ein Gesicht zu bekommen. So ist es verständlich, dass für Simone nachts die Welt ins Nichts versinkt,
     einfach weil sie dann nicht mehr wahrnehmbar und daher auch nicht mehr existent ist.
    Simone besucht natürlich eine konfessionelle Schule, was nie ein Problem darstellt, da sie deren religiöse Ausrichtung kaum
     wahrnimmt und sich voll und ganz aufs Lernen konzentriert. Sie behält die ganze Schulzeit über den Status einer Musterschülerin,
     die nichts Schöneres kennt, als sich Berge von Wissen anzueignen. Diesen Lerneifer wird sie nie in ihrem Leben ablegen. Alles,
     was Simone

Weitere Kostenlose Bücher