Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben

Titel: Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingeborg Gleichauf
Vom Netzwerk:
sinnvoll gestalten kann.
    An Beauvoirs Alltag ändert sich nichts. Sie tut weiterhin so, als wäre alles beim Alten, geht zur Kommunion, heuchelt Gläubigkeit,
     lernt fleißig. Sie lebt ein Doppelleben und leidet darunter, sieht jedoch keine andere Möglichkeit.Ihre Rebellion findet unbemerkt in ihrem Inneren statt. Sie hat den Namen Philosophie. In den fünf Jahren zwischen zwölf und
     siebzehn lebt Beauvoir zwei Leben. Sie selbst meint, das Gute und das Wahre seien zwei voneinander getrennte Dinge. Sie will
     eine gute Tochter und Schülerin sein und zur gleichen Zeit denkend der Wahrheit auf die Spur kommen.
    Als Junge hätte sie es, was die Berufswahl angeht, einfacher. Mädchen sind viele Wege versperrt, ganze Berufsfelder sind tabuisiert,
     ihre Lebensbahn ist klar vorgezeichnet. Wäre sie ein Junge, könnte sie nach Meinung der Eltern auf das Polytechnikum zum Studium
     gehen, und das wäre das Beste. Aber sie ist nun mal ein Mädchen. Beauvoir hat in gewisser Weise Glück: Ihre Familie kann den
     Töchtern keine große Mitgift geben, sodass sie einen Beruf ergreifen müssen, um eigenes Geld zu verdienen.
     
    Zunächst jedoch steht das Abitur bevor, und da Beauvoir es gut machen will, arbeitet sie hart. Die Familie reagiert erstaunt
     darauf, dass sie sich vor allem auf die Philosophieprüfung konzentriert. Beauvoir aber lässt sich nicht beirren und äußert
     zum ersten Mal ihre Wünsche, ohne Kompromisse einzugehen. »An der Philosophie zog mich vor allem an, dass sie meiner Meinung
     nach unmittelbar auf das Wesentliche ging. Ich hatte mich nie für Einzelheiten interessiert; ich nahm den globalen Sinn der
     Dinge weit eher als ihre Besonderheiten in mich auf; ich begriff lieber, als dass ich sah; immer hatte ich
alles
erkennen wollen: die Philosophie würde mir möglich machen, dieses mein Verlangen zu erfüllen, denn die Gesamtheit des Wirklichen
     war das Ziel, das ich im Auge hatte   ...« 5
    Beauvoirs Überzeugungskraft reicht jedoch nicht, die Familie für ein Philosophiestudium zu begeistern. So beginnt sie 1925
     am katholischen Institut Sainte-Marie in Neuilly alte Sprachen und Mathematik zu studieren. Am Ende des Semesters legt sie
     eine Prüfung in Mathematik und Latein ab. Aber es ist ihr unvorstellbar, sich ein Leben lang mit alten Sprachen zu beschäftigen.
     Den Eltern macht die Niedergeschlagenheit ihrer Tochter Sorgen, und so willigen sie endlich ein: Zum Sommersemester 1926 kann
     sich Beauvoir an der Sorbonne einschreiben, mit dem Ziel, Philosophielehrerin an einem Gymnasium zu werden.
    Noch immer ist sie zu einem großen Teil in ihrem alten Leben gefangen, spielt die brave Tochter und traut sich wenige Eskapaden.
     Einige Male bricht sie aus, zieht durch die Nachtlokale von Montparnasse, aber das sind Ausnahmemomente. Die einzigen Exzesse,
     die Beauvoir zulässt, sind diejenigen am Schreibtisch, wenn sie intensiv arbeitet. Auf ihr Aussehen legt sie keinen Wert,
     sitzt mit einem Buch am Esstisch, spricht nicht viel und wirkt auf die anderen wie eine Eigenbrötlerin. Ihre einzige Freundin
     ist weiterhin Zaza, mit der sie Griechisch lernt, Ausflüge macht und Theateraufführungen besucht. Das Gefühl der Einsamkeit
     aber ist sehr stark, und Beauvoir hat das Gefühl, von niemandem wirklich geliebt und verstanden zu werden.
    Sie beginnt mit ihrer Diplomarbeit über Leibniz (1646   –   1716). Dass sie sich diesen Philosophen aussucht, ist sicher kein Zufall. Leibniz geht davon aus, dass der Mensch zwar in
     der besten aller möglichen Welten lebt, lässt aber dennoch der Freiheit einen weiten Raum. Die Freiheit zeichne den Menschen
     wesensmäßig aus, er sei zur Freiheitgeboren. Beauvoir, unter großen Zwängen aufgewachsen, träumt seit ihrer Jugend von einem auch äußerlich unabhängigen Leben.
     Dass Leibniz der Vielfalt an Möglichkeiten und dem Willen zu deren Durchsetzung eine solch große Bedeutung zumisst, fasziniert
     sie.
    1928, nach der Beendigung der Diplomarbeit, hat sie eine Probezeit als Lehramtskandidatin zu absolvieren und bereitet sich
     gleichzeitig auf die schwerste Prüfung vor: die Agrégation in Philosophie an der Sorbonne. Nur die besten StudentInnen bestehen,
     aber zu diesen will Beauvoir ja gehören. Sie verbringt täglich neun bis zehn Stunden über ihren Büchern. Daneben hat sie lockere
     Kontakte zu einigen Kommilitonen, schreibt ihrem Cousin Jacques, in den sie eine Zeitlang sogar glaubt, verliebt zu sein,
     und beobachtet von Ferne einen Kreis

Weitere Kostenlose Bücher