Denken aus Leidenschaft: Acht Philosophinnen und ihr Leben
dem Himmel auf die Erde zurückgeführt.« 9
Schon sehr früh ist Beauvoir sich klar darüber, dass Sartre aus ihrem Leben nicht mehr wegzudenken ist. Sie empfindet ihn
als eine Art vollkommeneren Doppelgänger, als jemand, der in dieselbe Richtung geht wie sie, aber schon ein größeres Stück
Weg zurückgelegt hat. Beide bestehen die Prüfung, Sartre als Bester, Beauvoir als Zweitbeste.
Beauvoirs Freude über den Erfolg wird getrübt durch die Nachricht vom plötzlichen Tod Zazas. Über die Ursache besteht Unsicherheit,
vielleicht eine Hirnhautentzündung. Beauvoir ist schockiert und hat von nun an immer das Gefühl, Zaza gegenüber bevorzugt
zu sein, ohne es verdient zu haben. Zaza musste hart kämpfen mit ihren Eltern, sie war noch strenger erzogen worden als Beauvoir
und hatte sich mit der endgültigen Abnabelung schwerer getan als ihre Freundin.
Das Gefühl, mehr Glück gehabt zu haben als andere, deren Ausgangssituation gleich war, wird Beauvoir nach diesem prägenden
Verlusterlebnis nicht mehr verlassen.
Inzwischen ist die Freundschaft zwischen Sartre und Beauvoir zu einer Liebesbeziehung geworden. Allerdings ist beiden von
Anfang an klar, dass sie niemals heiraten werden, und das sagen sie einander auch. Außerdem hat Sartre bereits deutlich gemacht,
dass er sich nicht vorstellen kann, nur einer einzigen Frau zu gehören. So befremdlich das klingen mag, aber sie schließen
zunächst einen »Pakt« auf zwei Jahre. In dieser Zeit will Sartre seinen Militärdienstableisten, und Beauvoir wird in Paris bleiben und Privatstunden geben. Sie wohnt jetzt nicht mehr bei ihren Eltern, sondern
hat sich ein Zimmer gemietet. Innerlich ist sie in dieser ersten Zeit mit Sartre gespalten. »Meine Ethik gebot, dass ich im
Mittelpunkt meines Lebens bliebe, während ich spontan eine andere Existenz der meinigen vorzog.« 10 Beauvoir wird nicht fertig damit, dass Sartre ihr, sobald er nicht da ist, so sehr fehlt, dass sie es kaum aushält. Was sie
erlebt, widerspricht ihrer Philosophie.
Nach den zwei Jahren bekommt Sartre eine Stelle als Philosophieprofessor in Paris und Beauvoir wird Philosophielehrerin in
Marseille. Achthundert Kilometer sind sie voneinander entfernt, und Beauvoir ist zum ersten Mal völlig auf sich gestellt.
In dieser Situation schließen sie und Sartre einen Pakt auf Lebenszeit. Sie wollen zusammenbleiben, einander jedoch völlige
Freiheit lassen. Sartre will auf seine Zufallslieben nicht verzichten.
Beauvoir bleibt nur ein Jahr in Marseille und wird dann nach Rouen versetzt, wo sie von 1932 bis 1936 Philosophie unterrichtet. Bis 1933 kann sie in der Nähe Sartres leben. Die beiden haben wenige Freunde und Bekannte, sie scheinen
einander zu genügen. Von nun an spricht Beauvoir, wenn es um die Ausarbeitung philosophischer Grundthesen geht, fast nur noch
im »Wir«- Ton. Zu den Ergebnissen ihres Nachdenkens kommt sie vor allem im Gespräch mit Sartre.
Völlig abwegig aber ist es zu behaupten, Sartre sei der eigentlich kreative Kopf und Beauvoir nur seine Partnerin, wie es
in der Literatur über Beauvoir häufig zu lesen ist. Das, was später als Existenzphilosophie bezeichnet und in der Hauptsache
Sartre zugeschrieben wird, lebt im Ansatz schon seit der frühen Jugend auch in Beauvoir.Der Existenzialismus geht aus von der Vereinzelung des Menschen, von seiner Einsamkeit unter einem entgötterten Himmel. Diese
Einsamkeit hat Beauvoir frühzeitig erfahren und sie braucht keinen, der ihr die Welt erklärt. Was schließlich in der Diskussion
entsteht, die Ausarbeitung der Existenzphilosophie, entspringt beiden Partnern gemeinsam.
Für die Politik hat Beauvoir vorerst kein Auge. Sie ist ganz auf die Beobachtung der Individuen konzentriert. Das gilt für
Sartre ebenfalls. Dieser geht 1933 – 1934 nach Berlin, um zeitgenössische Philosophie, vor allem die Werke Heideggers und Husserls, zu studieren. Den wachsenden
Nationalsozialismus, die marschierenden Braunhemden nimmt er nur am Rande wahr. Beauvoir ist gedanklich stärker denn je auf
sich bezogen. Die Zwischenmenschlichkeit oder überhaupt die bloße Gegenwart anderer Menschen interessiert sie in dieser Zeit
überhaupt nicht. »Ich liebte Landschaften, die menschenleer schienen, ich liebte Kulissen, die mir die Gegenwart von Menschen
verbargen: das Malerische, das Lokalkolorit.« 11
Der Gedanke, dass die Welt das Ich braucht, um überhaupt zu sein, wird hier wieder aufgenommen. In der
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