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Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Titel: Denken hilft zwar, nutzt aber nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Ariely
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Brustkorb des Patienten geöffnet und die innere Brustwandarterie unterbunden wurde. Bei der Placebooperation setzte der Chirurg dem Patienten an der entsprechenden Stelle lediglich zwei Schnitte mit dem Skalpell. Weiter geschah nichts.
    Das Ergebnis war frappierend. Sowohl die tatsächlich operierten Patienten als auch diejenigen, bei denen die Brustwandarterie nicht unterbunden worden war, berichteten von einer sofortigen Linderung ihrer Brustschmerzen. Bei beiden Gruppen hielt die Besserung rund drei Monate an, dann begannen die Patienten erneut über Schmerzen in der Brust zu klagen. Aber die Elektrokardiogramme zeigten keinen Unterschied zwischen den Patienten, die tatsächlich operiert worden waren, und denen mit der Placebooperation. Mit anderen Worten, der herkömmliche Eingriff schien kurzzeitig eine Besserung zu bringen – aber die Placebooperation ebenso. Auf längere Sicht ergab sich bei beiden Gruppen keine signifikante Besserung.
    In jüngerer Zeit wurde ein anderer Eingriff in ähnlicher Weise getestet, und das Ergebnis war überraschend ähnlich. Schon 1993 begann der Orthopäde J. B. Moseley zunehmend daran zu zweifeln, ob ein arthroskopischer Eingriff bei einer bestimmten arthritischen Erkrankung des Kniegelenks wirklich von Nutzen ist. Brachte der Eingriff wirklich etwas? Dr. Moseley und seine Kollegen gewannen 180 Patienten mit Kniegelenksarthrose aus dem Veterans’ Hospital in Houston für ihre Untersuchung, die sie in drei Gruppen einteilten.
    Die eine Gruppe bekam die Standardbehandlung: Narkose, drei Schnitte, Einführung des Arthroskops, Glättung des Knorpels, Entfernung störenden Weichgewebes und Durchspülendes Kniegelenks mit 10 Liter Kochsalzlösung. Die zweite Gruppe bekam ebenfalls eine Narkose, drei Schnitte wurden gesetzt, das Arthroskop eingeführt und das Knie anschließend mit 10 Liter Kochsalzlösung durchgespült, aber es wurde kein störendes Knorpelgewebe entfernt. Bei der dritten Gruppe wirkte von außen gesehen alles wie bei den anderen beiden: Narkose, Schnitte und so weiter; es wurde auch genauso viel Zeit aufgewendet, jedoch keine Arthroskopie durchgeführt. Mit anderen Worten, der Eingriff wurde nur simuliert. 8
    In den beiden folgenden Jahren wurde bei allen drei Gruppen (die, wie immer bei Placeboexperimenten, aus freiwilligen Teilnehmern bestanden) nachgefragt, ob sich die Schmerzen verringert hatten und wie lange es dauerte, bis die Patienten wieder gehen und Treppen steigen konnten. Und was kam dabei heraus? Die beiden Gruppen, bei denen die komplette Operation mit arthroskopischer Spülung durchgeführt worden war, waren voll des Lobes, und alle sagten, sie würden die Operation auch ihren Angehörigen und Freunden empfehlen. Aber seltsamerweise – und das war die große Überraschung – zeigte sich auch bei der Placebogruppe eine Linderung der Schmerzen und eine Verbesserung der Gehfähigkeit, und zwar im selben Maß wie bei denjenigen, die tatsächlich operiert worden waren. Dieses verblüffende Ergebnis kommentierte Dr. Nelda Wray, eine der Autoren der Moseley-Studie, mit den Worten: »Die Tatsache, dass die Wirksamkeit einer arthroskopischen Spülung mit Entfernung von blockierendem Gewebe bei Patienten mit Kniegelenksarthrose nicht größer ist als bei einer Placebooperation, wirft die Frage auf, ob man die eine Milliarde Dollar, die für diese Eingriffe aufgewendet werden, nicht sinnvoller verwenden könnte.«
    Wenn Sie jetzt vermuten, dass dieser Bericht einen Sturmder Entrüstung auslöste, dann haben Sie recht. Als die Studie am 11. Juli 2002 als Leitartikel im
New England Journal of Medicine
erschien, erhoben etliche Ärzte lautstark Protest und stellten die Vorgehensweise und die Ergebnisse der Studie in Frage. Dr. Moseley hielt dagegen, dass seine Studie sorgfältig geplant und durchgeführt worden sei. »Chirurgen, die routinemäßig Arthroskopien durchführen, sind zweifellos unangenehm berührt angesichts der Feststellung, dass für die Besserung beim operierten Patienten der Placeboeffekt – und nicht chirurgisches Können – verantwortlich ist. Es liegt auf der Hand, dass diese Chirurgen alles daransetzen, um unsere Studie in Misskredit zu bringen.«
    Unabhängig davon, wie weit wir den Ergebnissen dieser Studie Glauben schenken, sollten wir der Arthroskopie bei dieser bestimmten Erkrankung auf jeden Fall mit etwas mehr Skepsis entgegentreten und gleichzeitig für medizinische Behandlungsmethoden im Allgemeinen mehr wissenschaftliche

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