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Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Denken hilft zwar, nutzt aber nichts

Titel: Denken hilft zwar, nutzt aber nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Ariely
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gewiss – nur bis zu dem Punkt, wo sich der innere Belohnungsmechanismus (Nucleus accumbens und Über-Ich) einschaltete und sie dafür belohnte, dass sie aufhörten.
    Doch was für ein Wunder hatten die Zehn Gebote vollbracht! Wir hatten unseren Probanden nicht einmal in Erinnerung gerufen, was die Zehn Gebote waren, sondern sie lediglich gebeten, sie zu rekapitulieren (und fast keiner von ihnen wusste alle zehn). Wir hofften, dass diese kleine Übung bei ihnen den Gedanken an Ehrlichkeit aktivieren würde. Und genau das war offensichtlich der Fall. Was ist nun die große Idee dahinter, fragten wir uns. Es dauerte einige Wochen, bis wir zu Schlussfolgerungen kamen.
     
    Zum Beispiel könnten wir die Bibel wieder ins öffentliche Bewusstsein rücken. Wenn wir nur die Unehrlichkeit verringern wollten, wäre das keine schlechte Idee. Andererseits wird dann manch einer Einwände erheben, etwa, dass die Bibel für eine bestimmte Religion stehe, oder lediglich, dass auf diese Weise Religion mit der kommerziellen und säkularen Welt vermischt werde. Aber vielleicht könnte ein Gelöbnis anderer Art funktionieren. Was mich an dem Experiment mit den Zehn Geboten besonders beeindruckte, war, dass ihr Einfluss auf die Studenten, die sich nur an eins oder zwei erinnern konnten, genauso groß war wie bei denjenigen, die fast noch alle zehn wussten. Das ließ darauf schließen, dass nicht die Gebote selbst die Ehrlichkeit förderten, sondern der bloße Gedanke an eine moralische Instanz.
    Wenn das tatsächlich so ist, dann könnten wir auch nicht religiöse Bezugspunkte einsetzen, um die Ehrlichkeit allgemein zu heben. Könnte sich beispielsweise der Berufseid eignen, den Ärzte, Anwälte und Angehörige anderer Professionen ablegen – oder früher abgelegt haben? Könnte es damit funktionieren?
    Das Wort
Profession
leitet sich vom lateinischen
professus
ab, das »öffentlich erklärt« bedeutet. Berufe wie der des Arztes und Juristen nahmen ihren Anfang irgendwann in der tiefen Vergangenheit in der Religion. Wer ein umfassendes esoterisches Wissen besaß, hieß es, hatte nicht nur ein Monopol auf die Praktizierung dieses Wissens, sondern auch die Verpflichtung, diese Macht des Wissens weise und ehrlich einzusetzen. Der Eid – der mündlich, oft aber auch schriftlich abgelegt wurde – ermahnte diese Menschen, ihr Verhalten danach auszurichten, und er gab ihnen auch Regeln an die Hand, die bei der Ausübung ihres Berufes zu beachten waren.
    Diese Eide waren lange Zeit in Gebrauch. Doch in den1960er Jahren entwickelte sich eine starke Bewegung, die eine Deregulierung dieser Berufsstände befürwortete. Es seien elitäre Berufe, wurde argumentiert, die transparenter werden müssten. Für den Juristenberuf bedeutete das mehr Schriftsätze in klarer Prosa, Kameras im Gerichtssaal und Werbung. Ähnliche Maßnahmen gegen Elitedenken wurden in der Medizin, im Bankgewerbe und in anderen Berufen ergriffen. Vieles davon hätte sich positiv auswirken können, aber mit der Demontage der akademischen Berufe ging auch etwas verloren. Strikter Professionalismus wurde durch Flexibilität, persönliches Urteil, die Gesetze des Marktes und das Streben nach Reichtum ersetzt, und damit verschwand das feste ethische Fundament, auf dem diese Berufe vormals gründeten.
    Beispielsweise ergab eine in den 1990er Jahren von der kalifornischen Anwaltskammer durchgeführte Untersuchung, dass die überwiegende Mehrheit der Anwälte in Kalifornien darunter litt, dass ihre Arbeit immer mehr an Ansehen verlor und dass sie den Zustand des Anwaltsberufes »äußerst pessimistisch« einschätzten. Zwei Drittel sagten, Anwälte setzten heute »wegen des wirtschaftlichen Drucks ihren Professionalismus aufs Spiel«. Nahezu 80 Prozent meinten, die Kammer versäume es, »Anwälte, die sich nicht an die ethischen Regeln halten, angemessen zu bestrafen«. Die Hälfte gab an, sich nicht für den Anwaltsberuf zu entscheiden, wenn sie noch einmal die Wahl hätten. 17
    Einer Untersuchung des Arbeitskreises »Justiz« zufolge scheint es bei den Anwälten im Bundesstaat Maryland nicht viel anders zu sein. Ihr Berufsstand sei derart heruntergekommen, erklärten Marylands Anwälte, dass »sie oft reizbar, unbeherrscht, streitsüchtig und ausfallend seien« oder »distanziert, verschlossen, unkonzentriert oder abgelenkt«. Als Anwälte in Virginia befragt wurden, ob die zunehmenden Probleme mitunprofessionellem Verhalten auf »einige faule Äpfel« zurückzuführen seien oder

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