Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten!
… Offensichtlich geht es vielen Menschen wie mir, denn das Video wurde weltweit millionenfach angeklickt.
|219| Die Reaktion der Jury: «
the
biggest surprise» – «biggest wake-up call ever» . («
die
Überraschung überhaupt» – «ein Auftritt, der wachrüttelt wie nichts anderes»).
Dabei hätten gerade die Jurymitglieder erkennen müssen, dass unter der scheinbar unansehnlichen Hülle viel mehr steckt. Ein
genauer Beobachter sieht sofort, dass Susan Boyle locker und zügig die Bühne betritt. Sie weiß, wie man sich dort bewegen
muss und sich präsentiert – das sieht man, wenn man es sehen will: keine Bewegung zu viel beim Gehen und kein nervöses Rumhampeln
beim Stehen. Die Dame zögert nicht. Sie spricht laut, ohne zu schreien, sie verspricht sich nicht, artikuliert klar und mit
deutlicher Stimme. Auch wenn sie nicht unserem Schönheitsideal entspricht, zeigt sie doch viel Präsenz. Es ist erstaunlich,
dass diese klaren Signale der Jury – die ja aus Kennern der Showbranche besteht – entgangen sind. Nur deshalb konnte der folgende
Auftritt derart überraschen und einschlagen wie eine Bombe.
Hätte die Jury sich von den völlig unwesentlichen Äußerlichkeiten nicht ablenken lassen, neutral und unvoreingenommen den
Auftritt abgewartet, wäre sie nicht so überrascht worden. Die Mitglieder aber waren von Vorurteilen geblendet und übersahen
daher alle eindeutigen Signale von Boyles Bühnenpräsenz. Mit dieser Geschichte möchte ich eine der zentralen Methoden zur
Gedankenfreiheit verständlich machen: die Technik der Unvoreingenommenheit.
Alle Beispiele und Experimente, die ich im Kapitel «Unsere Gedanken sind nicht frei» . (vgl. S. 15 ff.) beschrieben habe, funktionieren ab dem Moment nicht mehr, in dem wir etwas unvoreingenommen betrachten. Sobald uns das
gelingt, hören wir auf zu werten. Ab diesem Zeitpunkt akzeptieren wir, dass wir nicht alles wissen, und können die Dinge hinnehmen,
wie sie sind – ohne sie unbedingt immer und überall hundertprozentig verstehen zu müssen. Unvoreingenommenheit und Neutralität
sind zentrale Methoden, das zu erreichen. Begriffspaare |220| wie positiv – negativ, schön – hässlich, gut – schlecht verlieren plötzlich an Bedeutung. Aus diesem Grund ist es auch unsinnig,
positiv zu denken, denn damit schließen Sie die Existenz des Gegenteils automatisch mit ein. Und nicht negativ zu denken funktioniert
genauso wenig wie die Aufforderung im Titel dieses Buchs. Eine optimistische Einstellung zu haben ist etwas ganz anderes.
Abgesehen davon hängen die obengenannten Begriffspaare sowieso immer vom Auge des Betrachters ab: Die Welt ist das, wofür
Sie sie halten. Ist es Ihnen nicht schon passiert, dass im Nachhinein etwas, das Sie anfangs als negativ bewertet haben, plötzlich
auch gute Seiten hatte? Es geht mal wieder ums Vergleichen. Es geht nicht um schön oder hässlich, richtig und falsch …, sondern eher um schöner und hässlicher, besser und schlechter. Wir bestimmen die Messlatte und den Rahmen. Schön und hässlich
im Vergleich zu was?
Hier schließt sich ein Kreis, den ich im Kapitel zum Thema Entscheidungen begann (vgl. S. 39 ff.): Man muss lernen, die Dinge zu akzeptieren. Oder wie der Guru zu Helge Timmerberg gesagt hat: «Ich akzeptiere die Dinge,
wie sie sind. Und wenn ich merke, dass ich die Dinge nicht so akzeptieren kann, wie sie sind, dann akzeptiere ich eben das.»
Nehmen Sie sich vor, alles und jeden ohne Bedingung anzunehmen. Das bedeutet nicht, dass Sie nicht Ihre Interessen vertreten
oder nicht einschreiten sollten, wenn Ihnen das sinnvoll erscheint. Darum geht es nicht. Es ist wichtig, die Dinge als das
zu sehen, was sie sind (wenn das überhaupt möglich ist) – und nicht als das, was unsere Gedanken daraus machen. Ab dann können
Sie angemessen reagieren. Ab dann beginnt ein großartiger Prozess: Sie werden lockerer, entspannter und stärker. Meine Kinder
würden sagen: «Sie werden cool.»
Durch diese Ausstrahlung werden Sie anders von anderen wahrgenommen, und plötzlich geht alles leichter von der Hand. Erinnern
Sie sich an die selbsterfüllenden Prophezeiungen? Plötzlich erledigen sich die Probleme wie von selbst. |221| Sie akzeptieren und respektieren den anderen und werden dadurch ebenso respektiert. Sie reagieren, ohne zu werten. Die Kampfkunstlegende
Bruce Lee wurde einmal nach seiner Technik gefragt. Seine Antwort: «Meine Technik ist die
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