Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
„Denkwürdigkeiten" abgeschlossen hatte, da wird sie, wie es ja viele andere in gleicher Lage taten, die Grund-lagen dazu vernichtet haben, da die übrigbleibenden familiären Nachrichten nur für sie wertvoll .gewesen waren. Daß Karoline Pichler auch Zeitungsberichte benützte, dafür sprechen zwei Stellen. Eine davon (I, S. 307f.) zeigt wörtliche Anklänge an einen Bericht der „Wiener-Zeitung" (vgl. I, S. 570, Anm. 507)j die an-dere verwertet Ausführungen des Astronomen J. J.Lit-trow aus einem seiner Aufsätze (vgl. II, S. 574, Anm. 456). Nicht minder hielt sie sich|.aö eigene Berichte, so an die über Mariazell (I, S. 558, Anm. 447), über den Kirchenbau zu Gran (II, S. 549, Anm. 388), über Pest und Ofen (II, S. 553, Anm. 401) und über ihre Reise von Kremsmünster nach Spital am Pyhrn (I, S.S-^iiß.). In den letzten Jahren ihres Lebens, eben zu der Zeit, als sie den „Denkwürdigkeiten" ihre Muße widmete, verfaßte sie, durch die Ereignisse und die Freundschaft gedrängt,
^) Nicht richtig wiedergegebene Zitate: I, S. 441: 15, 442: 24, 455: loi, 459= 128, 477: 230, 512: 328, 544: 415, 566: 490a, 567: 495, 607: 593, 613: 615, 630: 674, 646: 724!., 647: 728, 649f.: 74of. — II, s. 479 = 199, 487: 228, 499: 266, 526: 322, 547: 381, 575= 4585 586: 497. — Schreibt Gedichte anderer nach Gedächtnis auf: II, 98, 141.
eine größere Anzahl von Nachrufen auf ihr teure Freun-de für verschiedene Zeitschriften i), die in vieler Hin-sicht ausführlicher sind als die betreffenden Stellen ihrer Memoiren. Auch diese Nachrufe hat sie, ebenso wie die in früherer Zeit auf Köderl (1,8.613: 619), Theresevon Ar tn er (II, S. 604.: 563), Luise Brach mann (II, S.505: 283) verfaßten, fleißig benützt. Dazu zog sie die vielen Briefe, die sie im Laufe ihres langen Lebens von den verschiedensten Persönlichkeiten erhielt, ebenfalls her-an, da für ihre Zwecke manches daraus zu gewinnen war, wie die Anführung einiger derselben in den „Denk-würdigkeiten" beweist^). Daß viele persönliche An-schauungen, Aussprüche u. dgl. bereits in vorher er-schienenen Aufsätzen anzutreffen sind, darf nicht wundernehmen, bewegt sich ja doch jeder Mensch und Schriftsteller in einer bestimmten Gedankenrichtung, der er nicht entrinnen kann.
Fester Grundsatz für Karoline Pichler, als sie ihre „Denkwürdigkeiten" abfaßte, war, Aufrichtigkeit und Wahrheit zu üben. Sie hielt es bei einer Selbstbiographie für Pflicht, „ganz aufrichtig zu sein, insoweit es die Klugheit, welche zwar nie eine Lüge, aber Stillschwei-gen gebieten kann oder die Schonung erlaubt, welche man noch lebenden Personen oder nahen Verwandten Verstorbener schuldig ist" (I, S. 169f.). Daß sie daher mit dem Nebentitel von Goethes, als Kunstwerk ein-zig dastehenden Selbstbiographie „Aus meinem Leben, Dichtung und Wahrheit" (3 Bände, Tübingen 1811 bis
^) Gabriele Baumberg, vgl. I, S. 492: 285. — Franz A. von Kurländer, vgl. II, S. 592: 514. — Marianne v. Neumann, vgl. II, S. 592: 514. — Dorothea v. Schlegel, vgl. II, S. 524: 311. — Pauline v. Schmerling, vgl. II, S. 476: 191. — Marie Gräfin Zay, vgl. II, S. 42if.: 36.
2) Vgl. Register II (Pichler) unter „Briefe".
1814) nicht einverstanden war und diesen als eine Art von Beleidigung für den Leser auffaßte (I, S. 170), ist selbstverständlich. Siewollte janichtsanderes,,alsVv^ahr-heit und nichts als Wahrheit" (II, S. 143) schreiben, ein Zweck, der zwar auch Goethe vorschwebte, den er aber auf anderem Wege als die Pichler, die nur nackte Tatsachen bot, zu erreichen suchte. Goethehandelte es sich bei der Wahrheit nur um das sogenannte ,,Grund-wahre", das in seinem Leben etwas zu bedeuten hatte, das ihm Richtung und Entwicklung gab, und um dieses gehörig hervortreten zu lassen, scheute er nicht davor zurück, Personen und Vorgänge bewußt zu erfinden^). Anders ist es bei der Pichler. Sie wollte nicht nur das Grundwahre, ihre dichterische und sonstige Entwick-lung festhalten, sondern das Wahre mit allem Neben-und Beiwerk, also auch die Mutter und Hausfrau zur Darstellung bringen und Ereignisse der Umwelt be-richten. Sie konnte daher nicht Goethes Beispiel folgen.
Mit ihrer Polemik gegen diesen meinte sie es ehrlich, sie wollte nicht etwa wie Ignaz F. Castelli unter dem Schutze der beteuerten Wahrheit Lügen in Hülle und Fülle auftischen^), sondern sie gab wirklich dieser die Ehre. Selbst so unangenehme Ereignisse, wie den in ihr Privatleben tief eingreifenden Konkurs ihres Mannes, der ihr
Weitere Kostenlose Bücher