Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
hinzu-gedichtet und nur in Kleinigkeiten Fehler gezeigt, die aber der Menge des Gebotenen gegenüber nichts be-deuten und nur die Unzulänglichkeit des Gedächtnisses und alles Menschenwerkes beweisen. Sie steht mit ihrer Wahrheitsliebe, wenn wir ihre bedeutenderen Vorgän-gerinnen in Deutschland auf dem Gebiete der Memoi-renliteratur in Betracht ziehen, im schroffen Gegensatz zur Markgräfin Friederike Sophie Wilhelmine von Bayreuth, deren Erinnerungen nicht glaubwür-dig sind, keinen Wert als geschichtliche Quelle haben,
vom Tratsch und der Erfindung leben und eine sehr böse Sprache sprechen i). Würdig reiht sich aber die Pichler an die zeitlich erste Schriftstellerin auf diesem Gebiete, an Frau Helene Kot tanner an, die ihre wahr-heitsgetreuen Erinnerungen an die Jahre 1439 und 1440, die durch die Art der Auffassung und Darstellung eine ungewöhnUche PersönHchkeit verraten, ebenfalls in deut-scher Sprache niederschrieb 2). Aber auch an eine zweite bedeutende deutsche Frau, an die Herzogin, spätere Kurfürstin Sophie von Hannover erinnert man sich, die, um sich von tiefem Herzeleid zu befreien, an der Wende von 1680 auf 1681 ihre Erinnerungen, dem Zuge der Zeit gemäß aber in französischer Sprache, nieder-schrieb. Auch diese Frau, deren Darstellung Leben zeigt, die sprudelnden Witz mit scharfer Beobachtungs-gabe in sich vereint, ist nirgends geflissenthch, obwohl sie zu den Sachen und Personen stets eine persönHche Stellung einnimmt, von der Wahrheit abgewichen 3). Eines aber unterscheidet sie von der Pichler, ihre böse Zunge, die uns in manchem an die österreichische Grä-fin Lulu Thürheim, die bedeutendste Nachfolgerin der Pichler als Memoirenschreiberin, erinnert. Herzogin S o -phie vernichtet damit ihre Gegn-er, schont ihre eigenen Freunde nicht und läßt auch ihrer Mutter gegenüber die schuldige Ehrerbietung vermissen*).
Der Gegensatz zur Herzogin Sophie ist KaroHne Pichler. Nicht nur, daß sie'ihrer Mutter in den „Denk-
1) Franz Xaver v. Wegele, Vorträge und Abhandlungen. Leipzig 1898, S. zogf.
2) St. L. Endlicher, Aus den Denkwürdigkeiten der Helene Kottannerin. Leipzig 1846, S. 6.
3) Adolf Köcher, Memoiren der Herzogin Sophie nachmals Kurfürstin von Hannover. Leipzig 1879, S. 4, 6.
*) Adolf Köcher, Memoiren S. 11 f., 24.
V C. P. I
Würdigkeiten", ähnlich wie der eitle Abt Guibert vonNogent (f 1124) seiner Mutter in den seinen^), ein literarisches Ehrendenkmal setzte und ihrer stets mit Ehrerbietung gedachte, so war sie auch eijfie wohl-wollende Natur, die überall nur das Gute hervorhob und das Schlechte mit Absicht übersah. Da sie selbst stets das Beste wollte, so übte sie auch anderen Personen gegenüber im Leben und in ihren Erinnerungen Nachsicht^). Im Verkehr selbst konnte freilich auch sie manchmal boshaft sein, mit spitzem Zünglein Tratsch und Klatsch verbreiten^) und über jene, die sich ge-sellschaftlich oder sonst gegen sie ungezogen benahmen, Gericht halten*); aber sobald sie etwas für die Öffent-lichkeit bestimmte, trat ihr stark ausgeprägtes Verant-wortlichkeitsgefühl in Tätigkeit, und ihre natürliche Gutmütigkeit, die sie als echte Wienerin nicht ab-streifen konnte, verbot ihr, verletzende Bemerkungen niederzuschreiben. Es mag sein, daß ihre „Denk-würdigkeiten" dadurch manchen Reiz einbüßten, daß deren Natürlichkeit darunter litt, aber Karoline Pichlers Charakter hat dabei sicherlich nur gewonnen. Und so müssen wir neben der Wahrheitsliebe als zweite charakteristische Eigenschaft der „Denkwürdigkeiten" die Zartheit und freundliche Rücksichtnahme, mit der verschiedene persönliche Verhältnisse von Bekannten behandelt sind, gebührend hervorheben. Karoline Pich-
1) Vgl. Friedrich v. Bezold, Über die Anfänge der Selbstbio-graphie und ihre Entwicklungim Mittelalter. Erlangen 1893, S. 15.
2) Denkwürdigkeiten, I, S. 32f., 189, 220. Vgl. unten S. LXXIX (Amalie v. Groß).
3) Vgl. ihre Ausstreuungen über Zedlitz: Denkwürdigkeiten, II, S. 488: 232.
*) Vgl. ihre Äußerungen über Menzel zu Laube: Denkwürdig-keiten, II, S. 566: 437; dagegen halte man die zurückhaltenden Bemerkungen: II, S. 262.
1er hat dabei aber nicht etwa der Wahrheit einen Zwang angelegt, sondern läßt ihr auch hier vollständig ihr Recht werden. Wenn sie aus zarter Schonung manchmal die Namen von behandelten Persönlichkeiten ausließ, so gab sie doch immerhin irgendein charakteristisches Merkmal an, so daß es nicht allzu schwer wird, des Rät-sels Lösung zu finden.
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