Denkwürdigkeiten aus meinem Leben [microform]
zu-rückreichende Tradition aufzuweisen wie etwa das der italienischen Renaissancehöfe oder das leichtlebige, geistigen und leiblichen Genuß gewährende,Leben der französischen Salons zur Zeit des Sonnenkönigs und seiner Nachfolger 2). Wien hatte lange keine geselligen Vereinigungen, wo sich Geist mit Anmut, Scherz mit Ernst, Weisheit mit Genuß paarten, denn erst in die Zeit der Regierung der Kaiserin Maria Theresia
^) P. D. Atterbom, Aufzeichnungen über berühmte deutsche Männer und Frauen. Aus dem Schwedischen übersetzt von Franz Maurer. Berlin 1867, S. 199.
2) Über diese Salons vgl. man die feinsinnigen Bemerkungen von Valerian Tornius (Salons. Bilder gesellschaftlicher Kultur aus fünf Jahrhunderten. Leipzig 1913).
fallen die ersten Anfänge der Wiener Geselligkeit^). Unter Kaiser Josef IL bildeten sich dann jene drei Kreise desselben aus^), die lange Zeit hindurch, bis zur Revolution des Jahres 1848 feststehend blieben, wenn auch das Leben und Treiben in den Salons selbst schließlich nur mehr ein schattenhaftes war. Der erste Kreis, dessen Hauptzweck in der Förderung der Wissen-schaften lag^), war im 18. Jahrhundert durch Ignaz von Born und Nikolaus von Jacquin und deren Gesellschaften, von denen auch Karoline Pichler spricht (I, S. 149f., 158), vertreten; der feinsinnige, gleichen Zwecken dienende Kreis um den Botaniker Ladislaus Endlicher gehört einer späteren Zeit an. Im Gegensatz dazu stand jener, der den Frohsinn pflegte^), sich im Humor aller Art nicht genug tun konnte, und besonders jenen behaglichen und gemüt-lichen Wiener Spießern zusagte, die etwa heute im Rostbratelorden mittaten, morgen in der Ludlamshöhle Castellis gerade nicht immer feine Witze anhörten, und am dritten Tag nach alter Ritterart als Knappe Williram oder Ritter Kunz im feierlichen Aufzug ein Ritterkonventikel im Seebensteiner Schlosse abhielten. Mitten zwischen Ernst und Scherz aber stand jener Kreis, der die Geselligkeit selbst zum Hauptzwecke hatte, dem „die Geselligkeit als Mittel zum anknüpfen gegenseitiger Bekanntschaften, als Vereinigungspunkt von Personen verschiedener Geistesrichtungen und verschiedener Lebensweise" diente^). Hier fiel im
^) Vgl. M. A. Becker, Geselligkeit und Gesellschaft in Wien. In dessen: Verstreute Blätter. Wien 1880, S. 36!.
2) Becker, a. a. O. S. 38.
3) Becker, a.a.O. S. 38, 41 f. *) Becker, a. a. O. S. 39, 43!. 6) Becker, a. a. O. S. 39{.
Gegensatze zu den beiden anderen Kreisen der Haus-frau die entscheidende Rolle zu. Von ihrem Geschick und ihren geistigen Fähigkeiten hing es ab, ob dieser , Kreis lebensfähig war oder nicht, ob er anregend wirkte und jene heitere Freude im Besucher auslöste, die ein stetes Wiederkommen verbürgte. Charlotte ^ von Grein er war eine solche Frau, die, mit scharfem Geiste, wenn auch nicht hübschen Zügen begabt, es verstand, in ihrem Heim während der ausgehenden siebziger, der achtziger und neunziger Jahre des i8. Jahrhunderts jene behagliche Geselligkeit zu schaf-fen, deren beherrschender Mittelpunkt sie war (H, S. 440). Für Abwechslung war in ihrem Hause bei den täglichen Abendgesellschaften (I, S. 168) genügend gesorgt. Während sie selbst mit ihren Freunden eine Art gelehrter Akademie wöchentlich abhielt (H, S. 441), veranstaltete ihr Gatte, seiner Neigung gemäß, größere Gesellschaftskonzerte, an denen die Tochter des Hauses mitwirkte (I, S.481 f.). Als Sohn und Tochter erwachsen waren, da gab es für die Freunde des Sohnes gelehrte Kränzchen (I, S. 171 ff.) und für alle jungen Leute Tableaux und Theatervorstellungen (I, S. 111 ff., 150ff.), bei denen man sich die Liebe ins Herz mimte. Während die Frau des Hauses auf ihrem Ehrenplatz am Sopha thronte und mit den älteren Damen und Herren kritisch die Vorzüge und Fehler ihrer Bekann-ten und Freunde durchging, wohl auch hie und da ihre gelehrten Ansichten über die Entstehung und den Urgrund aller Religionen zum besten gab und während der Herr Hofrat einem Spielchen huldigte, da flirteten die jungen Leute, aller Standesunterschiede vergessend, -und aus ihren Herzen knospte die luftige Zukunft in die Gegenwart hinein. Diese fröhHche, ungebundene
Heiterkeit, dieses gegenseitige Vertrauen und der Auf-klärungsdusel, der sich in den Unterhaltungen breit machte, fand aber mit einem Male ein Ende, als die Jako-binerfurcht aufkam und eine künstlich aufgebauschte Jakobinerverschwörung 1794 ^^ Wien und den Pro-vinzen aufgedeckt und mit drakonischer Strenge gegen die
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