Denkwuerdigkeiten - Aus Meinem Leben
von August Varnhagen Eindringliches über die Böse, z.B. mit Datum 8.10.1822:
»Bettina vorgestern bei Tieck ganz zahm, nachher doch wieder wild. Alle verabscheuen sie, Tieck, die Familie, die Witwe Solger, Herr u. Frau von Raumer, alle wetteifern im Ausdruck ihres Widerwillens« gegen diesen »Paradiesaffen«, dieses »Kalb mit fünf Füßen«, diese »Lügenbestie« usw.
Verständlich, daß sie später weiterwütete, nachdem ihr Goethe die grabkühle Schulter gezeigt hatte und sie dann nach seinem Tod das erheischte Goethe-Bettine-Denkmal halt doch nicht kriegte; worüber ich wiederum mich schon in meinem Goethe-Frauen-Buch von 1999 gefreut habe. Und daß ihr Jahrzehnte später ein gewisser (und sonst gar nicht übler) Lyriker Georg Friedrich Daumer trotzdem nachsagte, zusammen mit Rahel von Varnhagen und Goethe bilde sie, Bettine, eine »heilige Trias«, darüber giftete die bremsige Giftspritze wegen der Rahel-Konkurrenz sich so, daß sie am 20.1.1859 endlichendlich genau darüber starb.
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Anders als Eichendorff mochte ich ihn nie so recht, war er mir eigentlich immer fast zuwider: Der ganze Schmarren oder zumindest Halbschmarren beinahe aller Heineschen Lyrik wird flagrant, ja krähend beim folgenden Vierzeiler aus dem »Buch der Lieder« von 1827:
»Anfangs wollt ich fast verzagen,
Und ich glaubt’ ich trüg es nie,
Und ich hab es doch ertragen,
Aber fragt mich nur nicht, wie?«
Hier ist gar nichts mehr Objekt, Inhalt, Zielperson, kein Liebchen und schon gar kein Rußlandfeldrückzug; kein Gegenstand, kein Thema ist dem Gedicht mehr irgend entnehmbar. Hätte es Heine-Preisnehmer Gernhardt gemacht, hätte er mindestens die beiden Schlußzeilen akutisiert, mit einer zusätzlichen Volte an Gehaltlosigkeit verschönt. Vertont hat das Ganze zu allem Überfluß auch noch Robert Schumann im Verein mit seiner Clara (op. 24). Mit einem gewissen Recht sogar. Das Geseire ist eben schon bald reine Musik.
Vier von fünf Gedichten Heines sind mehr oder minder dieser minderen Artung. Und sein vielleicht bestes, »Mein Herz, mein Herz ist traurig« mit der tollen Schlußsequenz des rotgeröckten Burschen vor dem Schilderhäuschen auf der alten Bastei:
»Er spielt mit seiner Flinte,
Die funkelt im Sonnenrot,
Er präsentiert und schultert –
Ich wollt, er schösse mich tot«
– das Gedicht gehört naturgemäß zu seinen unbekanntesten.
Die Sache wird aber, auf einer anderen Ebene, verworrener, wenn man die Heinesche Schilderung in den »Reisebildern« gleichfalls von 1827, nämlich aus England, beizieht. Die Stelle zeugt nicht nur abermals davon, wie falsch das Allzweckzitat vom schlafraubenden Deutschland allzeit zitiert wird. Bemerkenswerter noch eine sonderliche Kongruenz:
»Wieviel heiterer und wohnlicher ist es dagegen in unserem lieben Deutschland! Wie traumhaft gemach, wie sabbatlich ruhig bewegen sich hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im ruhigen Sonnenschein glänzen die Uniformen und Häuser, an den Fliesen flattern die Schwalben …«
Gegen das Falsch-Zitat vom schlaflosmachenden Deutschland hat auch Heine keine Chance. Für ihn aber spricht, daß man ihm keine Pointe so ganz glauben darf.
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»Das gewaltsame Herausreißen aus dem heimatlichen Boden u Sauerteig«, gibt Joseph von Eichendorff im März 1816 über seine junge Frau und deren Gemütswandel zu bedenken, habe gleichzeitig für deren größere »Ernsthaftigkeit« gesorgt.
Darin genau ist auch meine Frau, ein mecklenburgisches Flüchtlingswesen, mir, einem ewigen und unverbrüchlichen »Heimatler« (Süddeutsche Zeitung), einem im Grunde recht bodenversessenen Stubenhockel, einem mehrheitlich ganz uneichendorffisch behaglich ins Feld hinausschauenden Gesellen, ein für allemal ziemlich überlegen. Sei’s drum. Reisemuffel sind wir jetzt beidesamt gleichermaßen. Und härmen uns oft schon Tage, Wochen vor den anderswo endorphinfroh erwarteten größeren Reisen ganz unziemlich ab.
Und es ist nicht zu besorgen, daß die Frau, inzwischen eine vereidigte Oberpfalzbewohnerin, eines Tages herausgerissen aus diesem ihrem neuen Sauerteig sich, ohne mich zu fragen, wieder nordwärts aufmacht.
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Nicht darum ersuchte Beobachter und Bescheidwisser, sagen wir die oben gestreifte Ehefrau, glauben nämlich bescheidzuwissen oder doch unnachsichtig zu erahnen, daß die unüberhörbar süddeutschen Verkleinerungsformen wie »Löfferl« und »Tüterl« (gespr.: Düderl) und auch »Kaffeeerl«, weil sie den Dingen ihre Schärfe nehmen
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