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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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ihn besorgt an und sagte endlich: »Bleiben Sie hier, Sie sehen nicht gut aus. Ich sage Ihnen Bescheid, wenn Sie hochkommen können, ich verspreche es«, und er rannte über den Korridor, hinter dem Bett her.
    Jakob begann am ganzen Körper zu zittern, bedeckte sein Gesicht mit den Händen, setzte sich auf ein Bett neben dem Schalter und sagte mit bebender Stimme: »Das übersteht er nicht, ich habe ihn zu spät gefunden, mein Gott, das übersteht er nicht.«
    Gold war sofort bei ihm und legte seinen Arm um den Medizinstudenten. Der Junge war der Liebling des ganzen Krankenhauses. Er finanzierte sein Studium mit seinen drei Nachtschichten, und er hatte immer ein Lächeln im Gesicht. Er bewunderte die Ärzte, er fühlte mit den Kranken, er brachte der ganzen medizinischen Wissenschaft kindliche Verehrung entgegen.
    Erst vor einer Woche, wußte Gold, war er aus London zurückgekehrt, wo seine Eltern im diplomatischen Dienst tätig waren. Jakob war auf sich selbst gestellt, seit sie dorthin gegangen waren. Nach Beendigung seines Militärdienstes und seiner Zulassung zur medizinischen Fakultät verdiente er sein Geld selbst. Nur Miete brauchte er nicht zu bezahlen, da er als eine Art Vormund seines Mitbewohners fungierte, der einige Jahre jünger als er war und dessen Vater ebenfalls an der Botschaft in London arbeitete.
    Vor einigen Monaten hatte Gold sich mit Jakob unterhalten und von seinen Zweifeln im Hinblick auf die zukünftige Spezialisierung erfahren. Jakob dachte darüber nach, sich zum Psychiater ausbilden zu lassen. Er sprach mit großem Ernst und sah Gold an, als sei er ein Gott. Damals erzählte Jakob auch von seinem Mitbewohner. »Ein Junge, der wegen seiner Probleme vor die Hunde geht. Sie können sich nicht vorstellen, was das für ein Jammer ist«, sagte Jakob traurig und fügte hinzu, daß sein Mitbewohner ihm besonders nahe stehe. »Er ist wie ein kleiner Bruder, und ich weiß nicht, was ich tun soll.«
    Hinter den dicken Brillengläsern funkelten braune, vielleicht traurige, aber kluge und arglose Augen, und Gold hörte sich selbst einen langen Vortrag über die Spezialisierung zum Psychiater halten. Schließlich lächelte er, als er in diese ernsthaften Augen blickte und sagte, daß Jakob bis zum Ende seines Studiums gewiß noch häufig seine Pläne ändern werde. Doch Jakob antwortete nur, daß er vielleicht seine Meinung ändern werde, trotzdem aber sei sehr interessant, was er gehört habe. Außerdem wisse er nach wie vor nicht, was er mit seinem Mitbewohner, seinem Schützling, machen solle. Gold erinnerte sich daran, daß im gleichen Augenblick, als er dem Jungen riet, sich an eine psychiatrische Klinik zu wenden, das Gesicht Jakobs einen bitteren Ausdruck bekam und er fragte, ob Gold von einer Frau Dr. Neidorf gehört habe.
    Gold lächelte wissend und sagte, er kenne sie persönlich.
    »Auch Elischas Vater kennt sie persönlich – Elischa ist der Junge, mit dem ich zusammen wohne –, und er hat sich an sie gewandt. Sie hat ihn an die Klinik verwiesen, und seit er dort war, geht es bergab mit ihm, ich finde, es ist ein Unglück, was da geschieht.«
    Aber da wurde Gold auf Station gerufen, und er vergaß das abgebrochene Gespräch völlig. Das war vor über einem Jahr, rechnete Gold nach, seitdem war er nur noch selten in Bereitschaft. Erst jetzt fiel ihm alles wieder ein. Er hatte nicht herausgefunden, was an dieser Klinik so schrecklich war und was Jakob bedrückte, der jetzt dasaß und ihn aus erloschenen Augen ansah.
    Rina reichte Jakob die Hand und zog ihn in das Zimmer, in dem die diensthabenden Ärzte und das Personal der Notaufnahme aßen. Sie setzte ihn auf einen Stuhl und reichte ihm eine Tasse stark gesüßten Kaffee, blinzelte Gold zu, als wollte sie sagen: »Jetzt bist du dran«, und verließ den Raum.
    Gold mußte seine Frage, was genau geschehen sei, einige Male wiederholen, zunächst sanft, dann hartnäckig. Schließlich erzählte Jakob, er sei um zehn vom Kino gekom men. Er war in der ersten Vorstellung, und als er das Haus verlassen hatte, dachte er, Elischa schlafe. Als er zurückkehrte, brannten alle Lichter, schon draußen habe er das gesehen. Beim Eintreten rief er laut, doch niemand antwortete ihm. Da betrat er Elischas Zimmer und sah ihn auf seinem unordentlichen Bett auf dem Rücken liegen. Neben ihm stand eine leere Cognacflasche, und das Zimmer roch nach Alkohol. »Elischa verabscheut Alkohol, verstehen Sie«, Jakob sah Gold zum ersten Mal an und erzählte von den

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