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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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betastete, das wie eine kleine Schachtel aussah. Gold erkannte, daß es ein winziges Aufnahmegerät war, wie es einer seiner Freunde, ein Journalist, besaß, aber dann beschloß er, nicht überempfindlich zu sein und lieber zuzuhören.
    »Was geschah bei Neidorf?« fragte Michael, und wieder setzte ein Redestrom ein. Als er Neidorf anrief und erklärte, wer er sei, schlug sie vor, daß er Elischa mitbringe oder ihn veranlasse, anzurufen, aber er setzte ihr am Telefon auseinander, daß mit ihm nicht zu reden sei. »Aber ich versuchte es trotzdem, ich sagte, er soll hingehen. Aber er lachte mir ins Gesicht, er sei glücklich, es sei ihm nie besser im Leben gegangen und so weiter, und ich merkte, daß er einfach krank war, richtig krank. Man kann mir nicht einreden, daß ein gesunder Mensch untätig sein kann, einfach nichts tut, monatelang. Kein Buch, kein Film, keine Freunde, kein Studium und keine Arbeit, er saß nur rum oder verschwand einfach. Und ich sollte ihm glauben, daß alles in Ordnung ist. Ich wandte mich sogar an Dr. Gold, aber wir kamen nicht dazu, darüber ernsthaft zu sprechen, und damals, bevor ich wirklich begriff, was mit seiner Psychologin los war, glaubte ich, er würde die Behandlung vielleicht wieder aufnehmen. Endlich überredete ich Neidorf, mich zu empfangen. Ich hatte nicht die Absicht, auf Einzelheiten einzugehen, ich wollte ihr nur sagen, in welchem Zustand er war, aber sie brachte mich dazu, von seiner Psychologin zu erzählen, und als ich es erzählt hatte, schien es mir, als glaube sie mir nicht. Das heißt, sie glaubte mir, fragte aber zweihundertmal nach, ob ich auch sicher sei, sagte mir, dies sei eine sehr schwere Beschuldigung und so weiter. Ich meinte nur, sie solle sich Elischas annehmen, aber sie fragte nach allen möglichen Einzelheiten, und schließlich schlug ich sogar vor, sie das nächste Mal zu rufen, damit sie sich selbst überzeugen kann. Sie sagte, sie habe augenblicklich keine Zeit für Elischa, weil sie in zwei Wochen wegfahren würde, aber sobald sie zurückkehre, werde sie sich darum küm mern und einen vertrauenswürdigen Kollegen finden. Ich hatte nicht einmal Zeit, sie anzurufen, seitdem ich zurück bin. Ich habe ihn kaum gesehen, er war entweder nicht zu Hause oder lag auf seinem Bett und starrte die Decke an. Ich wußte ja nicht, wie dringend alles war. Er sprach kaum mit mir, und ich nahm mir immer wieder vor, Neidorf anzurufen, aber ich hab's nicht geschafft.« Seine Stimme machte einem tiefen Seufzer Platz, und wieder beherrschte ein Ausdruck von Schuld und Hilflosigkeit sein Gesicht.
    Michael Ochajon sah Gold prüfend an. Gold fühlte, wie alles Blut aus seinem Gesicht wich. Aber dennoch sah er noch immer keine Verbindung.
    Michael bat ihn, für einen Augenblick mit ihm hinauszugehen. Im Neonlicht eines langen Korridors des siebten Stockwerks, drückte Michael ihn auf einen der orangefarbenen Plastikstühle, hielt ihn am Arm und sagte auf eine so kalte und entschiedene Weise, wie sie Gold bis dahin noch nicht von ihm gehört hatte, daß er alles, was er soeben mitbekommen habe, in seinem Gehirn begraben solle und niemand etwas davon erzählen dürfe. »Verstehen Sie, wie wichtig das ist?« Gold nickte mechanisch.
    »Machen Sie sich bitte klar: Ob es uns gelingt, den Mör- der Ihrer Analytikerin zu ermitteln, hängt jetzt entschei dend davon ab, daß Sie niemandem – nicht Ihrer Frau, nicht Ihrer Mutter, nicht Ihrem besten Freund – von dem erzäh len, was Sie eben gehört haben. Und außerdem halten Sie diesen Jungen fest. Er darf nicht weggehen. Ich brauche ein oder zwei Tage, mehr nicht, während dieser Zeit darf nichts von dieser Geschichte nach draußen dringen. Nichts von dem Selbstmörder, nichts von der Sache mit Silber – nichts, verstanden?«
    Gold wollte protestieren, etwas sagen, fragen, aber die Stimme des Polizisten ließ keinen Einwand zu. Er werde den Vater benachrichtigen, sagte Michael, er werde alles im Krankenhaus regeln, man könne die Leiche zwei Tage zurückhalten, das sei schon vorgekommen. Golds Aufgabe sei es, zu schweigen und darauf zu achten, daß auch der Medizinstudent mit niemandem spreche. »Waschen Sie ihm ordentlich den Kopf, er fühlt sich verantwortlich, er leidet unter Schuldgefühlen, er ist zornig und traurig und was sonst noch. Sie haben dafür zu sorgen, daß er nicht verschwindet, hören Sie?«
    Gold hörte, und er stimmte allem zu. Mehr als alles empfand er Furcht. Furcht vor Ochajon und vor dem, was er gehört

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