Denn am Sabbat sollst du ruhen
wirkte sogar etwas distanziert, dachte Mi chael, oder betreten. Erst später erinnerte er sich an die Worte Dr. Dubonnets über die Eifersucht und daß auch Hildesheimer darunter leiden konnte.
Um Viertel nach zehn berichtete er von dem Selbstmord des Jungen. Er hatte die Begegnung bei der Beerdigung beschrieben und wie der Junge Dina Silber verfolgte, er erzählte von dem Verhör mit ihr, und anschließend bat er Hildesheimer, auch die kommende Sitzung abzusagen, eine Bitte, der der Alte erfolglos nachkam. Dreimal wählte er, ohne eine Antwort zu erhalten. Er sagte seufzend, wenn es nötig sei, werde er den Betreffenden fortschicken, wie er es um neun getan habe.
Der Inspektor zog aus seiner Hemdtasche ein winziges Aufnahmegerät, das der Alte erstaunt betrachtete, und er stellte es auf die höchste Lautstärke ein. Er erklärte, daß es sich um ein Gespräch mit dem Mitbewohner des Jungen handele, dann ließ er es ablaufen, und der Alte hörte zu.
Eine Minute nach elf Uhr klingelte es an der Tür, Michael drückte auf die Stopp-Taste, direkt vor der Geschichte mit dem Aspirin. Einige Minuten vergingen, bevor der Analytiker zurückkehrte. Wortlos setzte Michael das Gerät wieder in Betrieb, und der Alte sagte nichts, sondern saß bewegungslos da. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich auch nicht, als Dina Silber und Elischa im Bett geschildert wurden, nicht bei Jakobs Erzählung von der Bank, nicht einmal, als Neidorf erwähnt wurde.
Sein Gesichtsausdruck erinnerte Michael an eine aus Stein gehauene antike Maske, die er in Griechenland gesehen hatte, und die zu sagen schien: »Es gibt nichts Neues unter der Sonne. An mich kommt ihr nicht heran.« So wirkte er, bis sie zu der Stelle kamen, als Michael Gold bat, ihn nach draußen zu begleiten, und das Band abgelaufen war.
Da bedeckte Hildesheimer sein Gesicht mit beiden Händen und senkte den Kopf. So saß er eine Weile, ohne sich zu bewegen, und als Michael gerade begann, sich Sorgen um ihn zu machen, hob er den Kopf und sagte mit gebrochener Stimme: »Wissen Sie, sie war meine Patientin, fünf Jahre. Ich habe nie geglaubt, daß es eine gute Analyse war.« Wieder entstand ein langes Schweigen, dann richtete er den Blick auf Michael, der sich nicht zu rühren wagte, und sagte: »Ich hätte es wissen müssen. Nachträglich überraschen diese Dinge nicht. Wie Teilchen eines Puzzles, alles paßt.« Michael steckte sich eine Zigarette an, dann murmelte der Alte unzusammenhängend: »Drei Kontrollanaly tiker ... Wir hätten es wissen müssen ...« Endlich ließ er ein: »Ach!« vernehmen, reckte seine Schultern und sagte unter großer Anstrengung: »Man muß sich allmächtig vorkommen, um zu glauben, daß man sich nicht manchmal irren könnte. Kein System der Welt verhindert Irrtümer.« Der Alte schien ein Selbstgespräch zu führen. »Fünf Jahre! Viermal wöchentlich! Und ich dachte, sie macht Fortschritte!« stöhnte er. Endlich blickte er wieder in die dunklen Augen, die auf ihm ruhten, und sagte: »Ich müßte sehr narzißtisch sein, um zu glauben, es sei alles meine Schuld, aber es ist auch schwer, diesen Gedanken abzuwenden. Wir sehen nie die ganze Wahrheit. Manchmal verliert man im Prozeß der Analyse die Maßstäbe.« Erst da wagte Michael einen Einwand. Seine Worte veranlaßten den Alten, ihm in die Augen zu blicken, schließlich zu nicken und zu sagen: »Sie haben Recht. Es ist vielleicht Ironie. Therapeu ten kennen ihre Patienten in- und auswendig, aber sie wis sen nicht, wie sie sich als Menschen außerhalb der Thera pie verhalten. Nur was man hier auf der Couch hört, wis sen wir.«
Und wieder saß er in sich versunken. Ich brauche die sen Studenten nicht einmal zu sehen«, sagte er dann, »um von ihm wieder und wieder alles zu hören, es sei denn, der Ordnung halber, dafür will ich es tun. Aber ich brauche es nicht wirklich. Irgendwo wußte ich es immer, alles.« Und auf einmal schwieg er, sein Gesicht wurde wieder. zur Steinmaske. Er sah Michael minutenlang an, und im Zimmer hörte man nur das penetrante Ticken der kleinen Uhr, die auf dem Tisch zwischen ihnen stand. Das Zifferblatt war dem Analytiker zugewandt.
Um zwölf Uhr fünf antwortete Hildesheimer auf das letzte Türläuten an diesem Morgen, verlegte die Sitzung des Kandidaten auf die kommende Woche, sagte die bei den Sitzungen für den Nachmittag ab und wandte sich an Michael: »Ich möchte diesen Studenten treffen, der da in das Aufnahmegerät gesprochen hat.«
Sie fuhren mit dem Renault
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