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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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kleines Schild: »Professor Ernst Hildesheimer. Psychiater, Facharzt für Nervenkrankheiten und Psychoanalytiker.«
    Michael klingelte einmal, schon öffnete eine Frau die Tür. Ihr grauer Kopf war voller Locken, ihre blauen Augen blickten stechend und feindselig. Es war unmöglich, ihr Alter zu schätzen oder sich vorzustellen, daß sie einmal schön gewesen war. Sie sah nicht aus, als hätte sie sich je für ihr Alter oder ihr Aussehen interessiert.
    Mit deutschem Akzent sagte sie, daß der Professor in seinem Arbeitszimmer warte. Sie schien nicht glücklich über den Besuch und führte Ochajon nur widerwillig. Einige Male sah sie hinter sich und murmelte Unverständliches.
    Hildesheimer öffnete die Zimmertür, stellte Michael seiner Frau vor und bat sie, ihnen ein heißes Getränk zu bringen. Dies wurde mit einem Murren beantwortet, das ein breites Lächeln auf Hildesheimers Gesicht hervorrief. Michael jagte die Professorenfrau beinahe so etwas wie Angst ein.
    Noch während er auf einer der beiden Lehnstühle zuging, die Hildesheimer ihm mit einer Handbewegung anbot, begann Michael sich umzusehen. Im Zimmer befanden sich einige voll gestopfte Bücherschränke. In einer Ecke stand ein großer altmodischer Schreibtisch aus schwerem, dunklem Holz. Auf der Schreibfläche lag eine dicke Glasplatte, in der Mitte des Tisches ein langes, schmales Heft in grünem Einband, das aufgeschlagen war. Trotz seines stets gerühmten scharfen Blicks gelang es Michael nicht, die Schrift zu entziffern. Seine Augen wanderten weiter zum Sofa, das ihm merkwürdigerweise besonders bequem schien, und von dort zu einem skandinavischen Designersessel, dem einzigen modernen Stück im Zimmer.
    Michael betrachtete die Bilder, die zwischen den Bücher schränken hingen. Matte Bilder, unter denen er das Porträt Freuds, eine Bleistiftzeichnung, und fremde Landschaften in Öl erkannte. Er strengte sich an, die gold geprägten fremden Buchstaben auf den ledernen Buchrücken im Bücher-             schrank hinter dem Sessel zu entziffern, und er entdeckte den klassischen Schriftsteller Toynbee neben Goethes Wer ken. Dann bemerkte Michael, daß Hildesheimer inzwi schen Platz genommen hatte und geduldig wartete, bis der Inspektor sein Zimmer in Augenschein genommen hatte.
    Verlegen, weil er bei seiner Neugierde ertappt worden war, fragte Michael schnell, ob der Doktor etwas Besonderes mit ihm besprechen wolle.
    Hildesheimer wies auf den Schlüsselbund, der auf dem kleinen Tisch zwischen ihren Stühlen lag. Zu dem dicken Bund gehörte ein feines Lederfutteral mit einem eingestickten Muster. Diese Schlüssel hätten Eva Neidorf gehört, er habe sie neben dem Telefon in der Küche des Instituts gefunden und eingesteckt, als er das Telefon abgeschlossen habe. »Ich wollte sie noch am Morgen abgeben, habe es aber vergessen.« Die letzten Worte klangen ernsthaft, traurig und auch verwirrt; es war unverkennbar, daß es für Hildesheimer alles andere als eine Selbstverständlichkeit war, etwas zu vergessen.
    Kaum sei er zu Hause gewesen, sei es ihm eingefallen, seitdem habe er vergeblich versucht, ihn zu erreichen.
    »Was haben die Schlüssel mit dem Telefon zu tun? Ist der Apparat im Institut abgeschlossen?«
    »Ja«, antwortete der Alte. »Vor kurzem hat man an die Mitglieder und auch an die Kandidaten Schlüssel verteilt, weil die Telefonrechnungen entsetzlich hoch und völlig unbezahlbar geworden sind.« Aber das Schloß habe nichts bewirkt, das müsse er zugeben, beantwortete er Michaels Frage, und das Lächeln verlieh seinem runden Gesicht einen Ausdruck kindlicher Unschuld. Er bestätigte, daß niemand außer den Mitgliedern und Kandidaten das Institut betretenkönne, und nur die hätten einen Schlüssel, auch für das Telefon.
    »Und was ist mit den Patienten?« fragte Michael und versuchte sich mit aller Gewalt der Sympathie, die er für den Alten empfand, zu entziehen.
    Hildesheimer antwortete, daß die Patienten keinen Schlüssel besäßen. Der Therapeut öffne dem Patienten und begleite ihn nach Beendigung der Sitzung zum Ausgang. »Außerdem empfangen nur noch die Kandidaten ihre Patienten im Institut, und in den letzten Jahren ist es wegen der Enge den erfahreneren Kandidaten sogar gestattet worden, außerhalb des Hauses zu arbeiten.«
    Die Tür wurde geöffnet, und Frau Hildesheimer brachte ein Tablett mit heißem Kakao für ihren Mann und heißem Tee mit Zitrone für Michael, außerdem einige Kekse. Nachdem die Männer sich

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