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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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forschend ihre Gesichter. Er fand Entsetzen, auch Bedau ern, vor allem aber ungläubige Angst – gewiß nichts Außergewöhnliches. Schließlich blieb sein Blick auf Joe Linder haften. Linder hob die Augen. Michael folgte seinem Blick und betrachtete ebenfalls die Bilder der Toten.
    »Wenn hier ein Mord geschehen ist«, fuhr Michael ungerührt fort, »dann frage ich mich, warum der Mörder nicht seine Waffe Dr. Neidorf in die Hände gelegt hat, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Das hätte uns wenigstens zunächst in die Irre geführt. In jedem Fall muß noch jemand in die Sache verwickelt sein, jemand, der mehr weiß als wir.« Er sprach sehr langsam, und er wußte nicht, ob sie die Bedeutung seiner Worte in ihrem momentanen Zustand begreifen konnten.
    Die Mitglieder der Ausbildungskommission sahen Michael an, sie tauschten untereinander Blicke. Endlich sagte Joe Linder, Eva habe keinen Selbstmord begangen. Dann ergriff Rosenfeld das Wort: »Selbst wenn sie beschlossen hätte, sich das Leben zu nehmen – was ich nicht glaube –, dann hätte sie das zweifellos nicht im Institut getan. Sie müssen wissen«, sagte er zu Ochajon gewendet, »daß ein Selbstmord stets ein Akt der Rache an der nächsten Umwelt ist. Eva Neidorf ist ein Mensch gewesen, der frei von Haß gewesen war. Sie war nicht egoistisch genug, um so etwas im Institut oder überhaupt zu tun.« Er zündete sich mit zitternden Händen ein neues Zigarillo an. »Und selbst wenn sie von einer unheilbaren Krankheit erfahren hätte«, sagte er und sah in die Runde, »dann hätte sie doch gewartet. Da bin ich ganz sicher.« In Daniel Wallers glattem Gesicht zeigte sich Widerspruch, der wuchs, je länger Rosenfeld sprach. Schließlich hob er zu sprechen an, sagte aber nichts. Er wandte sein Gesicht, sah zunächst zum Fenster hinaus und dann auf Hildesheimer. Die übrigen bestätigten einmütig Rosenfelds Worte – kopfnickend oder murmelnd.
    Joe Linder stand erneut auf. Man müsse den Tatsachen ins Auge blicken. Es sei vollkommen ausgeschlossen, daß Eva Neidorf Selbstmord begangen habe, ohne vorher ihre Angelegenheiten zu ordnen. Man denke nur an ihre Patienten, an die Kandidaten, die sie betreut habe, an die geplante Vorlesung und an ihre Tochter, die vor einem Monat niedergekommen sei. Dem sei nichts hinzuzufügen. »Mir ist klar, daß man über einen Menschen niemals alles wissen kann. Und ich muß auch zugeben, daß man vor Überraschungen nie sicher ist, außerdem«, hier hob er den Kopf in die Richtung der Porträts an den Wänden, und auf seinem Gesicht spiegelte sich Zorn, »will ich nicht behaupten, daß Analytiker immun seien gegen Depressionen oder Gefühlsverwirrungen, nicht einmal gegen Selbstmord, aber Eva hat sich nicht umgebracht«.
    Hildesheimer sprach als letzter. Er faßte das Gesagte zusammen und ergänzte in entschuldigendem, aber doch bestimmten Ton, daß Eva Neidorf ihm sehr nahe gestanden habe. In einer kritischen Situation hätte sie sich ihm sicher anvertraut. Er habe noch gestern Abend mit ihr gesprochen, nach ihrer Rückkehr, und sie habe sehr zuversichtlich ge klungen, aber erschöpft vom Flug, sicherlich, ein wenig angespannt, aber doch insgesamt glücklich. Froh über die Geburt ihres Enkelsohnes, froh, wieder zu Hause zu sein, in freudiger Erwartung sogar wegen des Vortrages.
    Michael seufzte zustimmend. »Sind Sie sich darüber klar, was das bedeutet?« fragte er.
    Nun schauten alle Hildesheimer an, der plötzlich wie ein gutes und trauriges Walroß aussah, und er sagte sehr leise, beinahe flüsternd, er befürchte, daß es sich um einen Mord handele. Es habe keinen Sinn, das zu verdrängen und von einem Unfall zu sprechen; wie hätte es auch im Institut zu einem Unfall kommen können? Überdies, sagte er müde, wer könne sich hier im Institut mit ihr treffen, wenn er nicht zum Institut gehöre? Aber kein Institutsangehöriger ginge hier am Sabbatmorgen mit einer Waffe in der Hand spazieren. »Zu meinem großen Bedauern müssen wir uns mit diesem schrecklichen Gedanken auseinandersetzen. Auch wenn uns das angesichts der Trauer um unsere verschiedene Freundin und Kollegin schwer erscheint.«
    Joe Linder fragte, ob denn ein Einbruch vollkommen ausgeschlossen sei.
    Dafür gäbe es keinerlei Anzeichen, entgegnete Ochajon, und auf jeden Fall sei sie sicher hergekommen, um jemanden zu treffen. Für einen Transport ihres Körpers nach dem Tod gebe es keine Spuren und für ihre frühe Anwesenheit im Institut bislang keinen anderen

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