Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
Die Grundlagen, auf denen die Mitglieder des Instituts ihr Leben errichtet haben, sind in Gefahr, wenn sich tatsächlich herausstellen sollte, daß man selbst dem nächsten Mitmen schen alles zutrauen muß.« (Davon, dachte Michael bei sich, muß man wohl ausgehen. Er sagte aber nichts.) Der alte Mann sprach von seinem persönlichen Bedürfnis, die Wahrheit herauszufinden, darüber, daß die Sache, der er sein Leben gewidmet habe, auf dem Spiel stehe. Erst nach dieser Einleitung und nach einem langen prüfenden Blick in Michaels Augen begann Hildesheimer mit monotoner Stimme seine Erzählung:
    1933, als sich die kommenden Ereignisse bereits abzeich neten, hatte er seine analytische Ausbildung gerade beendet und seine berufliche Laufbahn begonnen. Er beschloß, zusammen mit anderen jungen Analytikern, nach Palästina zu emigrieren.
    Dort befand sich bereits ein besonders seriöser und erfah rener Spezialist: Stefan Deutsch. »Er hatte, müssen Sie wissen, die Analyse unter Ferenzi gemacht, einem persönlichen Schüler Freuds.« Deutsch hatte etwas Geld geerbt und kaufte ein großes Haus im Stadtteil Bucharan.
    Dorthin zogen Hildesheimer, seine Frau Ilse und das junge Analytikerehepaar Levin. Im Laufe der Zeit wurde aus dem Haus, ohne daß es beabsichtigt gewesen wäre, der erste Sitz des Psychoanalytischen Instituts. Ilse kümmerte sich um die Verwaltung, die Levins und er selbst arbeiteten als Analytiker, und alle lebten sie in dem Haus im Bucharan-Viertel. Viele Monate später fanden sie die Wohnung in Rechavia und zogen hierher, verbrachten aber weiterhin die meiste Zeit in dem Haus. Nach und nach kamen neue Mitarbeiter hinzu, vor allem in den Jahren achtunddreißig und neununddreißig.
    Es regnete stärker. Hildesheimer zog an seiner Pfeife und stopfte sie von neuem, nachdem er sie mit Hilfe eines gebrauchten Zündholzes gründlich von Tabakresten gereinigt hatte. Der Porzellanaschenbecher war bis zum Rand gefüllt, und er schüttete die Asche in den Papierkorb neben dem Tisch. Dann stand er auf und öffnete das Fenster. Man hörte den starken Regen jetzt noch deutlicher. Michael versank immer tiefer in seinem Lehnstuhl und lauschte den Worten, die im schwerfälligen deutschen Akzent dahin flossen.
    In diesen Jahren kamen zum Beispiel Fruma Holländer, die noch sehr jung war, und Lizzi Sternfeld (Michael erin nerte sich, er hatte sie in der Küche gesehen.) Beide machten die Analyse bei Deutsch und lebten lange Zeit in seinem Haus, bis sie eine Wohnung fanden. Fruma war inzwischen gestorben, und auch Lizzi wurde, wie er selbst, nicht jünger.
    Der Regen ließ nach, der Wind frischte auf, und der Geruch von feuchter Erde verbreitete sich im Zimmer und vertrieb den Tabaksgeruch.
    Das Leben war damals hart, in jeder Hinsicht. Die psychoanalytische Ausbildung war zermürbend, und die Einnahmen blieben aus. Deutsch bestand darauf, daß man die Kinder und Heranwachsenden, die elternlos aus Deutschland kamen und von der Jugend-Alija betreut wurden, behandelte, natürlich unentgeltlich. Im Grunde finanzierte Deutsch alle, die hier arbeiteten, alle – Hildesheimer suchte das richtige Wort –, alle Kandidaten, denn nichts anderes waren sie eigentlich, er und die Levins, Fruma und Lizzi: Kandidaten eines Instituts, das noch nicht bestand. Und Deutsch war ihr Kontrollanalytiker.
    Erst nach fünfjähriger Praxis durfte Hildesheimer selbständig behandeln, aber auch dann wurden noch Seminare abgehalten, in denen jeder aus der Gruppe seine Fälle vorstellte und Deutsch seine Anmerkungen machte. An diesem Punkt sprach Hildesheimer kurz über Deutschs fachliche Kenntnisse, über seinen Ernst und sein Verantwortungsgefühl. Er, Hildesheimer, stehe bis heute in seiner Schuld.
    Es herrschte ein ausgesprochener Pioniergeist. Die finanzielle Lage und die Langsamkeit, mit der es beruflich vorwärts ging, belasteten niemanden wirklich. Natürlich gab es auch Spannungen, das verstehe sich. Sie resultierten haupt sächlich aus Deutschs dominanter Persönlichkeit. Aber auch das Land stellte sie vor Probleme: Die Hitze, die Trokkenheit Jerusalems im Sommer waren schwer zu ertragen. Dazu kamen die Sprachschwierigkeiten. Er blickte auf den Bücherschrank, ohne seine Rede zu unterbrechen. Auf den Seminaren wurde deutsch gesprochen, während der Behandlung ein Kauderwelsch, in das sich auch einige Brokken Hebräisch mischten. Er lächelte wieder sein kindliches Lächeln. »Jetzt merkt man mir vielleicht nicht mehr an, daß ich damals kein Wort

Weitere Kostenlose Bücher