Denn am Sabbat sollst du ruhen
Vortrag halten, der diesmal eine theoretische Neuerung beinhalten muß, dann, nach einer neuerlichen Abstimmung, kann er als ordentliches Mitglied akzeptiert werden.«
Nach kurzem Schweigen wußte Michael, was er zu fragen hatte: »Der Kandidat wird also zwei Jahre lang kontrolliert, er behandelt für das halbe Honorar und ausschließlich unter Supervision. Welche Rolle spielt dann diese Abstimmung, die Sie zuvor erwähnt haben? Warum begnügt man sich nicht mit der Bestätigung der Unterrichtskommission? Wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist doch die Unterrichtskommission die repräsentative Körperschaft.«
»Das sind zwei absolut verschiedene Dinge«, betonte Hildesheimer. »Die Ausbildungskommission kann herausfinden, ob ein Mensch sich zum Analytiker eignet oder nicht. Die Gesellschaft dagegen stimmt über die Frage ab, ob sie an einem ganz bestimmten Menschen als Mitglied interessiert ist.«
»Ist es denn tatsächlich schon vorgekommen, daß die Ausbildungskommission des Instituts die Vorstellung eines Falles durch einen Kandidaten nicht genehmigt hat?«
»Einmal ist es passiert, eigentlich sogar zweimal«, sagte Hildesheimer mit einem gewissen Unbehagen. »Der eine abgelehnte Kandidat schmiß die ganze Sache hin und wurde ein erklärter Gegner der psychoanalytischen Methode. Der andere gab nicht auf. Er kehrte zur Analyse zurück, stellte seinen Fall wenige Jahre später erneut vor, wurde schließlich akzeptiert und ist heute ein ordentliches Mitglied.«
»Hat es in der Beurteilung von Kandidaten«, setzte Michael beharrlich nach, »jemals Konflikte zwischen der Ausbildungskommission und der Gesellschaft gegeben? Oder anders gefragt: Hat die Gesellschaft jemals von ihrem Recht Gebrauch gemacht, einen Kandidaten aufgrund seiner Persönlichkeit nicht aufzunehmen?«
»Nein«, gestand Hildesheimer, »das ist nie vorgekom men. Bis jetzt. Natürlich gibt es Stimmenthaltungen, manchmal auch Gegenstimmen einiger Mitglieder, eine wirkliche Opposition gegen einen Kandidaten aber hat es nie gegeben.«
»Man könnte also mit Recht behaupten, daß die Ausbil dungskommission entscheidenden Einfluß auf das Schick sal des Kandidaten hat, ja, daß sein Schicksal tatsächlich vom Votum der Ausbildungskommission abhängt.«
»Ja«, stimmte Hildesheimer widerwillig zu. »Die Ausbil dungskommission und die Kontrollanalytiker, also die drei Analytiker, die jedem Kandidaten zur Seite gestellt werden. Deswegen übrigens hat jeder Kandidat nicht einen, sondern drei Kontrollanalytiker; und wenn alle drei seine Eignung bezweifeln, kann der Kandidat kein Analytiker werden. Hauptsächlich beschäftigt sich die Ausbildungskommis sion jedoch mit methodischen und didaktischen Fragen.«
Hildesheimer seufzte und legte seine Pfeife auf die Tisch kante. Im Zimmer wurde es kühl, und er verschränkte die Arme. Michael fragte, wie Eva Neidorf als Kontrollanalytikerin gewesen sei.
»Wie Eva als Kontrollanalytikerin war«, wiederholte Hildesheimer lächelnd, »darüber, denke ich, herrscht allge meine Übereinstimmung. Sie war eine wunderbare Kon trollanalytikerin – obgleich es richtig ist, daß sie sehr dominant war. Doch ihre Schüler akzeptierten ihre Autorität wegen der Unantastbarkeit ihrer therapeutischen und ethischen Grundsätze. Und dazu kamen noch ihre gewaltige Energie und ihre Fähigkeit zur Konzentration, die die Su pervisionsgespräche zu wahren Erlebnissen machten. Da mit aber berühren wir bereits komplexe Fragen der Psychoanalyse, und ich befürchte, daß es unmöglich ist, die ganze Theorie auf einen Schlag zu lernen.«
»Trotzdem«, beharrte Michael, »was veranlaßt einen Menschen, diese harte Lehrzeit in Kauf zu nehmen? Was eigentlich unterscheidet einen Psychoanalytiker von einem Psychologen oder einem Psychiater?« Er persönlich, sagte er vorsichtig, fühle sich durch das Reglement des Instituts in gewisser Weise an die Zunftvereinigungen des Mittelalters erinnert. Es sei sehr starr: Man stelle dem Kandidaten zahllose Hindernisse in den Weg, erklärtermaßen, um einen hohen fachlichen Standard zu garantieren, es sei aber nicht zu übersehen, daß diese Hindernisse auch andere Gründe hätten, daß es auch ein Standesdenken gebe und handfeste wirtschaftliche Überlegungen. Schließlich müsse die Zahl der Analytiker beschränkt bleiben, zumal in einem so kleinen Staat wie Israel. »Kurz«, sagte Michael, »ich habe den Eindruck, daß man sich mit Hilfe eines komplizierten Systems von Zugangsvoraussetzungen
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