Denn am Sabbat sollst du ruhen
muß. Er muß sein Privatleben vollständig verbergen, damit die Vor stellungswelt des Patienten, soweit der Therapeut darin eine Rolle spielt, nicht eingeschränkt wird.«
Michael behielt den Vortrag des Alten beinahe Wort für Wort im Kopf, den Schlußsatz konnte er auswendig aufsagen: »Ich bin sicher, daß es vor allem zwei Dinge sind, die junge Leute zu uns führen: die intensive und anspruchs volle Ausbildung und das Gefühl der Zusammengehörigkeit.«
Und dann erzählte der Alte, als wolle er ein komisches Intermezzo geben, bei den Bewerbungsgesprächen gäbe es die Standardfrage: ›Warum wollen Sie Psychoanalytiker werden?‹ Einmal antwortete ein Kandidat darauf: ›Weil das eine leichte Arbeit ist, bei der man viel verdient und Urlaub machen kann, wann man will‹, und er lächelte unverschämt.«
»Ist er angenommen worden?« wollte Michael wissen.
Hildesheimer antwortete mit einer Gegenfrage: »Mich würde interessieren, wie Sie sich entschieden hätten.«
»Ich hätte ihn angenommen«, entgegnete Michael.
»Mit welcher Begründung?«
»Obwohl die Antwort kindisch und frech gewesen war, hat sie doch auch Widerspenstigkeit und Mut bezeugt – wenn man annimmt, daß der Kandidat wohl gewußt hat, daß das nicht die Antwort war, die von ihm erwartet wurde. Außerdem kann man in der Antwort auch einen Ausdruck des Ärgers über die Banalität der Frage sehen.«
Der Alte betrachtete Michael mit einer gewissen Zustimmung.
»Und wie erging es dem Kandidaten wirklich?« wollte Michael wissen.
»Man hat ihn akzeptiert. Er zeigte noch andere Eigenschaften, die auf einen guten Analytiker hoffen ließen. Aber auch, was Sie geäußert haben, hat eine Rolle gespielt. Wir haben ihm auch Gelegenheit geben wollen«, fügte er mit einem breiten Lächeln hinzu, »seinen Irrtum selbst zu bemerken.«
»Wenn wir uns schon mit Nebensächlichkeiten befassen«, sagte Michael zögernd, »so möchte ich eine Frage stellen, die Sie sicher nicht zum ersten Male hören. Wo liegt der Unterschied zwischen der Psychoanalyse und einer normalen psychotherapeutischen Behandlung?« Er wollte hinzufügen, daß er von letzterem durchaus ein wenig verstehe, verkniff sich aber diese Bemerkung und präzisierte seine Frage: »Wo liegt der methodische Unterschied? Oder geht es nur darum, daß man hier auf der Couch liegt und dort im Sessel sitzt?«
»Nun«, meinte Hildesheimer trocken, »erscheint Ihnen dieser Unterschied bedeutungslos? Ist denn ein Polizeiverhör im Hause des Verdächtigten bei einer Tasse Kaffee dasselbe wie ein Verhör im Kommissariat bei grellem Licht?«
Michael entschuldigte sich. Ihm sei die Bedeutung der formalen Seite durchaus klar. Nun interessierten ihn aber die tatsächlich wesentlichen Differenzen.
»Das ist in der Tat einer der wesentlichen Unterschiede«, sagte der Alte ernst. »Sie müssen wissen, daß nicht jeder Patient, der Hilfe sucht, für die Analyse geeignet ist. Diese Methode erfordert eine besondere seelische Kraft.«
Bei dieser Bemerkung fragte sich Michael, ob er wohl diese Eignung mitbringe, erkannte aber, daß ihm seine Eitelkeit den Gedanken eingegeben hatte.
»Schließlich«, fuhr der Alte fort, »ist auch die Zahl der Sitzungen von entscheidender Bedeutung. Man trifft sich viermal in der Woche. Und dieses häufige Zusammenkommen trägt genauso wie die Couch dazu bei, daß der Patient tief in seine Vergangenheit eindringen kann bis zu den Schlüsselerlebnissen seiner Kindheit. Es ist hier leider nicht möglich, intensiver auf die Zusammenhänge einzugehen, die Schlüsselrolle der Übertragung in der psychoanalytischen Behandlung aber will ich nochmals betonen« Hildes heimer betrachtete Michael aufmerksam. »Die Übertra gung hängt, wie gesagt, davon ab, daß der Therapeut möglichst wenig als Mensch in Erscheinung tritt. Und dies ist eher der Fall, wenn er für den Patienten unsichtbar hinter der Couch sitzt. Aber denken Sie nicht, daß der Patient ins Leere sprechen könnte oder bloß mit einem Computer redet. Es gibt diese Geschichten, aber das ist Unsinn. Natür lich muß der Patient unterstützt werden, er braucht Bei stand. Die Karikatur vom Analytiker, der hinter der Couch eingeschlafen ist, zeigt nur die Ängste des Patienten, der nicht alleingelassen werden will. Eine Analyse ist gut, wenn es dem Therapeuten gelingt, dem Patienten das Gefühl ausreichender Unterstützung zu geben. Dieses Gefühl der Sicherheit verbunden mit der Tatsache, daß die Begegnung viermal
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