Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
ich auch sagen, daß Ernst Eigenschaften besitzt wie Arglosigkeit, Herzensgüte und Mitleid, die Eva völlig fehlen. Verstehen Sie«, sein Blick heftete sich an einen Punkt an der Wand über dem Schreibtisch, »nicht nur, daß sie keinen Humor hatte, sie war auch unbarmher zig im Umgang mit Menschen, die nicht in ihr Weltbild paßten, wahrhaftig.«
    Der Inspektor fragte, wie sie, ohne Barmherzigkeit, eine so begnadete, ja verehrte Therapeutin und Kontrollanalytikerin werden konnte. Er war bedacht, die Frage in neugierigem Ton zu stellen, ohne Zweifel an Linders Worten anzudeuten.
    »Ich sehe«, sagte Linder, »daß Sie sich auskennen. Natür lich: Es ist unmöglich, unserer Arbeit ohne Mitleid, ohne innere Beweglichkeit gerecht zu werden. Ich habe aber nicht von Patienten gesprochen, auch nicht von ihren Kandida ten, mit denen hatte sie Mitleid, da konnte sie auf alles eingehen, das spiegelte sich auch in den praktischen Beispielen wider, die sie in den Vorträgen vorstellte. Aber ich meine etwas anderes, etwas schwer Definierbares.« Er wandte seinen Blick wieder Michael zu. »Unser Weg läßt es uns auch offen, den Schwierigkeiten auszuweichen, die im täglichen Umgang mit Menschen auftreten. Der Analytiker ist in der Behandlungssituation so geborgen, er weiß, wie hilflos der Patient ist. Der Patient braucht Hilfe, zuweilen auch der Kandidat. Eva hat ihre Patienten und teilweise auch ihre Kandidaten als Teile ihrer Welt begriffen. Innerhalb dieses Rahmens akzeptierte sie Fehler und Schwächen, aber außerhalb war sie erbarmungslos. Bedenken Sie zum Beispiel das Thema ihres Vortrages, den sie am Sabbat halten sollte. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    Michael blickte Linder an und glaubte, ihn zu verstehen. Seine impulsive Offenherzigkeit hatte etwas Anziehendes, vielleicht nicht nur in den Augen von Frauen. Aber sie hatte nicht auf Eva Neidorf gewirkt und anscheinend auch nicht auf Hildesheimer.
    »Ist Ihnen außer dieser Verehrung noch etwas über die Beziehung der Leute auf unserer Liste zu ihr bekannt?« Michael deutete auf das karierte Blatt.
    »Nichts, was mir dazu einfiele. Sie blieb immer distanziert.«
    »Hatte sie Kontakt mit Außenstehenden? Freunde, Freundinnen, Männerbekanntschaften?«
    Er glaube nicht, sagte Linder, daß sie nach dem Tode ihres Mannes Liebhaber gehabt habe. »Sie war ein ›Blümchen rühr mich nicht an‹. Sie war schön, doch sie hatte etwas Geschlechtsloses an sich, aber vielleicht ist das eine Sache des Geschmacks.« Über Freundschaften und ihr gesellschaftliches Leben wisse er nichts. Er kenne niemanden außerhalb des Instituts, der Kontakt zu ihr hatte. Und im Institut – Hildesheimer, und vielleicht auch Nechama Szold, die auch in der Ausbildungskommission saß. Und vor Jahren, vor ihrer Heirat, war Waller sehr stark in sie verliebt gewesen. »Er konnte sich nur schwer damit abfinden«, sagte Linder und lächelte.
    Michael erinnerte sich an Waller, er gehörte wie Ne chama Szold zur Ausbildungskommission. Mit beiden mußte er sprechen. Er hatte Kopfschmerzen, sein Körper tat ihm weh. Das große Fenster war geschlossen, die Luft stikkig vom Zigarettenrauch, und der elektrische Ofen verbreitete eine unangenehme Wärme. Wahrscheinlich, dachte er, verursachte die Übermüdung sein körperliches Unbehagen. Er wollte nach Hause, ins Bett. Doch er richtete sich in seinem Stuhl auf und schüttelte den Kopf, als trete er aus der Dusche. Dann fragte er nach der Vorlesung.
    »Es gibt Kopien, sicher Millionen«, sagte Linder abschät zig. »Warum sollen wir lange darüber reden, wenn Sie ein fach alles nachlesen können? Falls Sie Verständnisschwierig keiten haben, was anzunehmen ist, denn ich selbst verstehe nicht alles, werde ich Ihnen gerne behilflich sein. Ernst hat immer eine Kopie, er muß sie vorher lesen, für seine Einleitung. Ich habe, falls Sie das interessiert, niemals vorher eine Kopie gesehen, ich gehörte nicht zu den Eingeweihten, wie man so sagt.«
    Michael wollte etwas zur Vorlesung sagen, bemühte sich um die Formulierung, aber da hörte man von draußen Schritte und das Knarren der Tür, die geöffnet und geschlossen wurde. Linder erhob sich und öffnete, ohne zu fragen, die Tür seines Zimmers. Ein kühler Luftzug kam aus dem Flur, und dann trat die schöne Dina Silber ein.
    Michaels erster Gedanke galt seiner Rasur. Warum hatte er sich nicht sorgfältiger rasiert!
    Als Linder sie miteinander bekannt machte, bemerkte Michael, daß ihr Gesicht gespannt und

Weitere Kostenlose Bücher