Denn am Sabbat sollst du ruhen
dienstags sechs, mittwochs neun, donnerstags acht, freitags sechs. Rechnen Sie zusammen. Sie machte immer eine Mittagspause zwischen eins und vier, außer dienstags und freitags, da arbeitete sie durchgehend. Aber bei sechs Kandidaten bleibt auch von sechsundvierzig Stunden nicht viel Zeit für Analysepatienten. Vier Stunden pro Woche nimmt jede Analyse in Anspruch, und sie gab auch Gesprächstherapien. Zweimal in der Woche, wie wir gleich sehen werden.«
Wieder glitt Linders Finger über die Liste, er diktierte Namen, und das Karopapier füllte sich mit Michaels sauberer Handschrift. Acht Analysen, acht Namen füllten je viermal die Woche ein Kästchen, alles Kandidaten am Institut. Acht leere Kästchen blieben übrig.
»Gut«, sagte Linder, »für die acht übrig gebliebenen Stunden kann man vielleicht eine Analyse einsetzen, von der wir nichts wissen, vielleicht hat sie Außenstehende behandelt, aber das ist kaum anzunehmen, denn Eva hatte eine Warteliste von zwei Jahren. In der ganzen Stadt gibt es gerade fünf Lehranalytiker, und sie hat immer die Meinung vertreten, daß die Leute vom Institut Vorrecht haben. Denn es wäre ja ein Ding der Unmöglichkeit, auf der einen Seite Satzungen zu haben und auf der anderen Seite Bedingun gen, die es den Kandidaten unmöglich machen, sie einzuhalten. Diese Fairneß war natürlich typisch für sie.«
Michael schwieg. Im Laufe des Morgens hatte er gelernt, daß man am ehesten dann etwas von Linder erfuhr, wenn man einfach schwieg. Linder sorgte schon dafür, daß diese Stille nicht anhielt.
»Daher glaube ich, daß die acht Stunden für Therapiegespräche reserviert waren. Diese Behandlung nimmt ein oder zwei Termine wöchentlich in Anspruch, je nachdem, ob es sich um einen konservativen Therapeuten handelt oder um jemanden mit flexibleren Ansichten.«
Michael war nicht verborgen geblieben, daß Linders Laune sich verschlechterte, je dichter sich die Karos mit Namen anfüllten. Seine Mundwinkel verzogen sich wie bei einem benachteiligten Kind nach unten, und sein Finger trommelte nervös auf der Namensliste. Michael fragte mit besonderem Feingefühl, wie viele Stunden Linder selbst arbeite.
»Genau so viele Stunden, vielleicht sogar etwas mehr, vielleicht achtundvierzig Wochenstunden. Aber ich habe nur eine Analyse im Auftrag des Instituts, ich bin kein Lehranalytiker«, fügte er hinzu, als wolle er die kommende Frage vermeiden, »zu mir kann ein Kandidat nur mit einer besonderen Erlaubnis der Ausbildungskommission zur Analyse kommen.«
Der Ausdruck, den Linders Gesicht angenommen hatte, hielt Michael davon ab, diesen Punkt weiter zu vertiefen. Er nahm sich vor, herauszufinden, was Linder verbrochen hatte, wie er im Institut in Mißkredit geraten war. Einige Gründe konnte er sich bereits vorstellen. Dieser Mensch hatte etwas so Kindliches und Offenes, daß Michael sich nur schwer vorstellen konnte, wie er schweigend und zuhörend hinter der Couch sitzen sollte.
Aber das konnte nicht alles sein. Michael war überzeugt, daß Hildesheimer andere Gründe haben mußte.
»Kurz und gut«, hob Linder seine Stimme, »Eva war Lehranalytikerin und Supervisorin und einiges mehr, und ihr Ansehen war so hoch, daß einige Kandidaten erst dann Patienten zur Analyse annahmen, wenn sie die Supervision übernehmen konnte. Deswegen kann ich mir nicht vorstel len, daß sie Außenstehende analysiert hat. Und alle Inter nen, die bei ihr waren, kenne ich. Ich glaube also, daß in den acht übrigen Stunden therapeutische Gespräche mit Außenstehenden stattfanden, von denen ich allerdings niemanden kenne. «
Michael faltete das karierte Blatt, breitete es aber dann wieder auf dem Schreibtisch aus und fragte Linder, ob er ihm etwas über die Beziehung der hier Verzeichneten zu Eva Neidorf sagen könne.
»Ja, natürlich kann ich das. Alle haben sie dermaßen verehrt, daß sie die Erde geküßt hätten, auf die sie ihren Fuß gesetzt hatte. Das hatte für mich bereits etwas Abschreckendes. Sie können gerne glauben, daß ich neidisch bin, aber das ändert nichts an der Tatsache, daß daran etwas Abschreckendes war. Diese Frau war sogar noch vollkommener als Ernst, und glauben Sie mir, heute finden Sie keine Menschen mehr wie Ernst.«
Michael brauchte einige Zeit, um zu begreifen, daß von Hildesheimer die Rede war. Er betrachtete Linder aufmerksam, der aussah, als sei er gänzlich in sich selbst versunken.
»Doch abgesehen von meiner persönlichen Eifersucht, die gewiß existiert, muß
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