Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
Vom Netzwerk:
habe. »Ich weiß, daß die Betreffende zwei Stunden wöchentlich bei Neidorf in Behandlung ist – oder besser: war. Aber ich bin nicht bereit, ohne vorherige Rücksprache einen Namen zu nennen.« Als es an der Tür läutete, sprang sie auf und sagte, daß der Inspektor sie später anrufen könne, womit sie die Tür hinter sich schloß.
    Wieder hörte man die Schritte im Flur, das Knarren der Tür, leises Gemurmel, und dann herrschte ein Schweigen, das diesmal nicht gestört wurde, weil sich Linders Stimmung völlig gewandelt hatte. Er ließ den Kopf sinken und betrachtete den Mittelpunkt des kleinen Teppichs, der vor dem Sofa lag.
    Michael mußte seine Frage zweimal wiederholen: »Ist Ihnen etwas Neues eingefallen?«
    »Nein, nein, wieso?« fragte Linder aufgeschreckt, und sein Gesicht schien im Gegensatz zu vorhin niedergeschlagen und verzweifelt.
    Michael fragte sich verwundert, wie Dina Silber von zwei so verschiedenen Menschen wie Linder und Neidorf Supervisionen erhalten konnte. Er fragte Linder, wie Kandidaten die Verschiedenartigkeit von Behandlungsstilen verarbeiten würden.
    »Das ist nicht nur eine Frage des Stils, das ist eine Frage der Persönlichkeit und der gesamten Lebensauffassung. Daraus ergeben sich Schwierigkeiten, doch es hat auch Vorteile. Aber Dina hatte nie Schwierigkeiten. Ich bin sicher, daß Eva genauere Protokolle erhielt als ich. Aber Sie wissen nichts über die Protokolle, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Zur wöchentlichen Supervision bringt der Kandidat die Protokolle der vier Sitzungen mit seinen Patienten mit. Aber er führt nicht während der Sitzungen Protokoll, nein. Ernst meint nämlich, daß der Therapeut sich dann mehr auf die Aufzeichnungen konzentriert als auf den Patienten. Wollen Sie wissen, wann man protokolliert? Nach der Sitzung. Ich finde, es gibt kaum etwas Grausameres, als die Nacht damit zu verbringen, diese Aufzeichnungen zu machen. Selbstverständlich drücke ich ein Auge zu, wenn sich ein Kandidat kurz faßt oder einmal mit leeren Händen kommt. Ganz im Gegensatz zu Eva. Dina erzählte mir einmal, daß sie ohne Protokolle gekommen sei und sofort einen diesbezüglichen Kommentar von Eva zu hören bekam. Ich sagte ihr, ein unentgeltlicher Kommentar sei etwas, das man mit Freude annehmen müsse, aber ich glaube nicht, daß Dina es gewagt hat, noch einmal zur Supervision zu kommen, ohne die Stunden protokolliert zu haben, wie es sich gehört.«
    Michael wollte wissen, ob er engen Kontakt mit Dina habe und ob sie »seine Art« akzeptiere.
    Linder schwieg eine Weile, bevor er etwas sagte, und die Antwort klang bitter und niedergeschlagen. Die Beziehung zu Dina habe sich verändert. Sie war früher anders. Früher habe sie ihn ins Vertrauen gezogen, wenn sie Schwierigkeiten mit Patienten hatte; sie sei zu ihm gekommen mit beruflichen und persönlichen Problemen. Aber während des letzten Jahres hatte sie sich von ihm entfernt. Sie erzählte weniger von sich selbst, und überhaupt trafen sie sich kaum noch, seit sie eine gemeinsame Praxis führten. »Wenn ich frei habe, hat sie Patienten und umgekehrt.« Endlich erschien der Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht. »Anscheinend ist sie erwachsen geworden und steht mehr auf eigenen Füßen, aber es fällt mir schwer, damit fertig zu werden.«
    Da steckte noch mehr dahinter, dachte Michael. Vielleicht ist er sich nicht mehr sicher, ob sie auf seiner Seite steht. Vielleicht glaubt er, sie sei in Neidorfs Lager übergewechselt oder so ähnlich.
    Dina Silbers Name fand sich auf der Gästeliste, und daneben stand, jedoch nicht in Linders Handschrift, »grü ner Salat«.
    »Ja, sie war auf der Party«, antwortete Linder. »Natürlich, der grüne Salat. Ob sie im Schlafzimmer war, weiß ich nicht mehr, oder doch, gewiß war sie dort. Ich erinnere mich, daß ich ihr geholfen habe, den Mantel abzulegen. Ich habe ihn ins Schlafzimmer gebracht, entsinne mich aber nicht, ihn wieder geholt zu haben. Aber das hat keine Bedeutung. Sie haben sie ja gesehen, ihre ganze Zerbrechlichkeit paßt einfach nicht zu einem Revolver. Und außerdem: Welches Motiv sollte sie haben? Nein, das ist nicht die richtige Spur.«
    Was sie Freitag nacht oder am Sabbatmorgen gemacht habe, wußte er nicht. Sicher habe sie in ihrem großen Gar ten gesessen und in der Sonne gefrühstückt. »Sie hat sehr viel Geld geheiratet, ehrliches Geld. Und ich bin nicht bereit zu schwören, daß sie nicht mit dem Gedanken geheiratet hat, ein ganzes Leben lang versorgt und

Weitere Kostenlose Bücher