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Denn am Sabbat sollst du ruhen

Denn am Sabbat sollst du ruhen

Titel: Denn am Sabbat sollst du ruhen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Batya Gur
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zwei Jahren, und sie hat mir noch Briefmarken mitgebracht, obwohl ich schon nicht mehr gesammelt habe. Ich war schon beim Militär.«
    Hillel verließ das Zimmer und kehrte wenige Minuten später zurück, verkündete, daß der Junge schlief, und reichte Michael einen Zettel mit dem Namen und der Telefonnummer in Paris. Michael wandte sich an Nava und fragte sie, ob diese Analytikerin und ihre Mutter eng befreundet gewesen waren.
    Nimrod antwortete zuerst: »Soweit sie überhaupt enge Freunde haben konnte. Sie nannte sie ›Cathy‹, und sie mochte sie sehr gern, glaube ich, denn sie sagte mir, daß sie sie sehr verehre.«
    Nava sah ihren Bruder an und meinte, ihre Mutter sei zwar zurückhaltend gewesen, hatte aber gewiß Freundin nen.
    »Wen, sag mir, wen«, rief Nimrod aus, »mir fällt jedenfalls keine ein. Na ja, nicht wichtig.«
    »Es ist sehr wohl wichtig«, sagte Michael.
    Nava schwieg, Nimrod war in sich selbst versunken, und Hillel meinte, es sei wirklich schwer, etwas über Evas Privatleben zu sagen, sie sei ein verschlossener Mensch gewesen, aber die Französin habe sie als »eine Freundin, der ich vertrauen kann« bezeichnet. Er erinnere sich genau an diese Worte, weil sie aus ihrem Mund etwas seltsam wirkten.
    Warum hatte sie das Hildesheimer nicht erzählt, wunderte sich Michael, und laut fragte er, wie ihre Beziehung zum Alten gewesen sei.
    Da lächelten alle drei zum ersten Mal, sogar Nimrod. Er hob den Kopf und fragte neugierig: »Haben Sie ihn gese hen? Nicht wahr, eindrucksvoll, dieser Mann?« Das Lä cheln verlieh ihm ein kindliches, unschuldiges Aussehen.
    Auch Hillel lächelte. Er kenne Hildesheimer nicht gut, sagte er entschuldigend, sei ihm nur einige Male begegnet, aber er scheine ihm »eine wirkliche Persönlichkeit, oder richtiger: ein Monument« zu sein, resümierte er und hörte mit einem Schlag auf zu lächeln.
    Nava sagte, ihre Beziehung sei warm und eng gewesen. »Er steht ihr von allen Menschen am nächsten – stand«, und wieder stiegen Tränen in ihre Augen. »Für mich gehört er zur Familie«, sagte sie mit erstickter Stimme und schob die Ärmel ihres weiten Morgenmantels zurück, hinter dem man ihren Körper nur erahnen konnte.
    Sie ist nicht schön, dachte Michael, sie ist eine alltägliche Erscheinung, und er erinnerte sich an den Schrei am offenen Grab. Ihm drängte sich die Frage auf, wie sie sich neben ihrer attraktiven Mutter gefühlt haben mußte, welche Art von Beziehung sie zueinander gehabt hatten. Eva Neidorfs ästhetisches Empfinden mußte sehr ausgeprägt gewesen sein, wie hatte sie sich mit dem farblosen Aussehen ihrer Tochter abgefunden? Navas langes, braunes Haar war hin ter die Ohren gesteckt, und jede heruntergefallene Strähne schob sie mit einer achtlosen, hastigen Bewegung hinter die Ohren zurück.
    Er fragte nach Eva Neidorfs Beziehung zu den Leuten im Institut. Alle drei sagten, man habe sie verehrt. »Wenn Sie Feinde suchen, wie man das bei Ihnen nennt«, sagte Hillel, »Menschen, die ihr Böses antun wollten, die hatte sie nicht. Sie hat in ihrem Leben keiner Fliege etwas zuleide getan, niemand wollte ihr schaden.«
    Er begriff selbst, wie paradox seine Worte waren, und beeilte sich hinzuzufügen: »Bis jetzt jedenfalls kannte ich niemand, der ihr Böses wollte.«
    Vorsichtig fragte Michael, ob sie etwas dagegen hätten, wenn er ihr Haus in Chicago durchsuchen ließe. »Wozu?« fragte Hillel und sagte dann: »Ach, wegen des Vortrags? Keine Aussicht. Aber von mir aus, bitte.«
    »Hat ihr dort jemand den Vortrag getippt?« fragte Michael.
    »Nein«, entgegnete Hillel, »wir haben eine hebräische Schreibmaschine, und sie schrieb selbst, nach ihrer handschriftlichen Fassung.« Er nannte die Adresse in Chicago und fragte, ob das Haus danach »heil« bleiben werde, was Michael zusicherte. Nava schwieg und zupfte an dem Papiertaschentuch in ihrer Hand. Nimrod verließ das Zimmer und ging in die Küche.
    Da läutete es an der Tür. »Wer kann das sein?« fragte Hillel erstaunt und meinte, daß man am Tag der Beerdigung keine Beileidsbesuche abstatte.
    Nimrod öffnete die Haustür, in der zwei Menschen standen: Rosenfeld und Linder. Sie fragten zögernd, ob sie eintreten dürften. Nimrod lud sie mit einer Handbewegung ein und sagte zu denen, die im Zimmer saßen: »Rosenkranz und Güldenstern.« Nur Linder lächelte. Nava sah ihren Bruder an und sagte: »Hör auf, ja?« Rosenfeld steckte sein Zigarillo in den Mund und zündete es an. Michael sagte, sie werden das

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