Denn am Sabbat sollst du ruhen
daran nicht gedacht?‹, und da kam ihr die Idee, nach Paris zu fliegen. In Paris lebt eine Analytikerin, mit der sie befreundet ist. Ich erinnere mich nicht, wie sie heißt, aber ich habe es aufgeschrieben, auch ihre Telefonnummer. Eva hatte sie angerufen, nachdem sie wußte, wann sie in Paris ankommen würde und verabredete sich mit ihr. Ich spreche kaum französisch, und ich war erstaunt, wie fließend Eva sich in dieser Sprache unterhalten konnte.«
Wieder brach Nava in leises Schluchzen aus, das in einen ununterbrochen fließenden Tränenstrom mündete. Sie wischte die Tränen mit dem Handrücken ab, bis Hillel es bemerkte und ihr ein Papiertaschentuch reichte.
Michael wußte nicht, wo er beginnen sollte. Hildeshei mer hatte nichts von einem Parisbesuch gesagt. Hat er da von gewußt und es bewußt verschwiegen? Wozu, fragte er sich. Vielleicht hatte Eva Neidorf ihm, dem Alten, nichts davon erzählt? Und was war mit der Version, Eva Neidorf sei mit Hillel nach Israel zurückgekehrt? Er hatte Hillel doch selbst am Sabbat vernommen, und es war vollkommen klar, daß sie gemeinsam zurückgeflogen waren, um sich auf die Begegnung mit den Direktoren vorzubereiten. Laut fragte er nur: »Sind Sie nicht mit ihr zurückgeflogen?«
Doch, natürlich sei er mit ihr zurückgeflogen, das habe er ihm doch selbst gesagt, als sie auf der Intensivstation des Krankenhauses miteinander sprachen.
»Also wie?« Michael war verwirrt.
»Wie? Von Paris aus. Ich bin einen Tag nach ihr dorthin geflogen«, sagte Hillel.
»Warum haben Sie das nicht am Sabbat erzählt?« fragte Michael mißtrauisch.
»Ich dachte, Sie wüßten das, ich dachte, das sei klar und außerdem unwichtig. Was weiß ich, warum. Da habe ich noch nicht begriffen, daß es wichtig ist.«
Schnell setzte Michael alle neuen Teilchen zusammen. Eva Neidorf hatte sich mit einer Analytikerkollegin in Paris getroffen, sie war mit ihrem Schwiegersohn von Paris zurückgeflogen, nicht von New York, und sie hatte Hildesheimer nichts von ihrem Aufenthalt in Paris gesagt. Er bat Hillel, noch einmal von dem Rückflug zu erzählen.
»Gestern hätte sie an der Jahressitzung des Direktoriums teilnehmen sollen. Eine sehr wichtige Sitzung.« Hillel blickte verstohlen zu seiner Frau und seinem Schwager, die vor sich hinstarrten, aber zuhörten. »Ich mußte sie vorbereiten. Sie hatte keine Ahnung. Zu Hause waren wir nicht dazugekommen wegen dem Baby und dem Vortrag. Es klappte nicht. Wir hatten uns vorgenommen, während des Fluges darüber zu sprechen. Ich bin dann nicht direkt nach Israel geflogen, sondern über Paris, und dort ist Eva zugestiegen wie geplant. Ich habe alle Flüge selbst gebucht, auch ihren. Aber ich weiß nur, daß sie sich in Paris mit dieser Analytikerin getroffen hat. Ich habe sie nach der Begegnung und dem Tag in Paris gefragt, und sie hat gesagt, es sei sehr wichtig gewesen. Sie wirkte etwas gespannt, das ist alles. Ich weiß nicht, worum es ging und welche Schwierigkeiten sie mit dem Vortrag hatte. Ich weiß es nicht.«
Michael warf Nava einen fragenden Blick zu, die ihren Kopf verneinend schüttelte. Sie wußte nicht, weshalb ihre Mutter nach Paris geflogen war. Sie hatte gedacht, es sei eine Art Urlaub. Sie hatte gerade erst entbunden und interessierte sich nicht so sehr, sagte sie und wischte sich die Augen, in denen wieder Tränen standen. Ja, sie kenne die französische Analytikerin. Sie erinnere sich aber nicht an ihren Namen, ein langer Name.
Doch Nimrod erinnerte sich: »Cathérine-Louise Dubonnet«, sagte er sicher und betonte jede Silbe, jeden Buchstaben. Offensichtlich hatte ihn der Name sehr beeindruckt.
Ja, stimmten Hillel und Nava zu, das war der Name. Es stellte sich heraus, daß Nava ihr vor einigen Jahren begeg net war, als Dubonnet während eines Kongresses in ihrem Haus zu Gast war. »Sie schien mir damals schon tausend Jahre alt zu sein, schrecklich alt, ihr Haar war schneeweiß. Ich habe nie mit ihr gesprochen, denn ich konnte weder französisch noch englisch.«
Nimrod dagegen behauptete, sie sei nicht viel älter als ihre Mutter. »Sie haben seitdem regelmäßig korrespondiert«, sagte er. »Ich weiß das wegen der Briefmarken, ich war damals noch klein und habe sie gesammelt.«
»Wann war das, damals?« fragte Michael, der plötzlich ungeduldig wurde.
Nimrod überlegte und sagte endlich: »Zum ersten Mal habe ich sie vor neun Jahren gesehen. Sie war dann noch zweimal bei uns zu Gast, wenn Kongresse stattfanden. Das letzte Mal vor
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