Denn das Glueck ist eine Reise
hielten.
»Man wird sehen. Jedenfalls ... Wie soll ich sagen ... Heute morgen waren wir beim Volkswagen-Händler ... Wir haben uns ein Wohnmobil gekauft. Mit allem Schnickschnack. Wir wollen auf Reisen gehen.«
»Ein Wohnmobil? Charles!«, rief Georges lachend. »In dem Ding wollt ihr wirklich reisen? Und wie lange werdet ihr wegbleiben?«
»So lange, wie es nötig ist. Das Haus werden wir wohl verkaufen. Es steht noch nicht fest, aber Marcel, du weißt schon, unser Marcel aus Erquy, der Typ, der jeden Tag schwimmen geht ...«
»Sicher, Marcel ...«
»Ja, Marcel und seine Frau, die kommen vielleicht mit.«
Georges wusste nicht, was er sagen sollte. Das war ein fantastischer Plan.
»Und Thérèse, die ist einverstanden?«, fragte er schließlich. »Wird es nicht schwer für sie sein, wenn sie von ihren Dahlien und ihren Hühnern getrennt ist?«
»Sie hat es selbst vorgeschlagen, Georges.«
Eine Weile herrschte Stille in dem kleinen Krankenzimmer. Sie lächelten beide, ohne sich anzusehen. Georges spürte, dass ihm wieder Tränen in die Augen stiegen, aber diesmal waren es keine bitteren Tränen.
»Ich muss jetzt gehen. Thérèse macht Besorgungen, aber morgen früh kommen wir dich besuchen. Ich bringe dir die Broschüre von dem Wohnmobil mit. Und wann wirst du operiert?«
»Übermorgen.«
»Hast du Françoise angerufen?«
»Ich habe die Ärzte gebeten, sie anzurufen ... diese ganzen exotischen Nummern ...«
»Wirklich?«, hakte Charles beunruhigt nach.
»Ja sicher. Sie werden sie schon finden. Heutzutage gibt’s ja auch E-Mail und alles. Jetzt hau schon ab, Charles. Kümmere dich um Thérèse und gibt ihr einen Kuss von mir. Du hast Glück, Charles, dass du so eine gute Frau hast.«
»Das weiß ich. Das weiß ich«, erwiderte Charles und schickte sich zum Gehen an.
»Und noch etwas: Falls ich den Löffel abgeben muss ... beauftrage ich dich, meine Grabinschrift zu schreiben, und zwar in Louchébem!«, rief Georges noch schnell.
Charles bedeutete ihm lächelnd, nicht so einen Unsinn zu reden, und ging davon.
Georges war wieder allein in seinem Zimmer. Er hatte noch immer Schmerzen, aber er fühlte sich von einer Last befreit. Draußen trieben Wolken über den Himmel, und der Oktoberwind jagte dem welken Laub hinterher. Das Telefon klingelte in dem kleinen, grünen Zimmer. Georges wartete einen Augenblick, ehe er abhob.
»Papa? Ich bin’s.«
Dienstag, 14. Oktober
Loches (Indre-et-Loire)
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Auf dem Gang des Krankenhauses lief Adèle an einem dunkelhäutigen Angestellten vorbei, der sie anlächelte, doch da sie nur auf die Zimmernummern achtete, sah sie es nicht. Schließlich fand sie die Nummer 412, klopfte mehrmals leise und trat zögernd ein. Sie war schrecklich nervös. Adèle hatte Angst, die Fassung zu verlieren, wenn sie diesen alten Mann leiden sah, der den Tag vielleicht nicht überleben würde. Als sie ihren Großvater erblickte, fand sie ihn sofort schrecklich alt. Und viel magerer als auf den letzten Fotos, die ihre Mutter ihr gezeigt hatte. Doch sie sah vor allem, dass er sie erkannte und dass ihm Tränen in die Augen stiegen.
Wie gerne hätte sie all die Jahre, die sie ihn nicht besucht hatte, ausgelöscht und jetzt irgendetwas Sinnvolles und Warmherziges gesagt oder getan. Doch das Gefühl, weglaufen zu wollen, um nicht aussprechen zu müssen, was ihr bereits jetzt die Kehle zuschnürte, war stärker als alles andere. Innerhalb weniger Tage hatte sie begonnen, ihren Großvater richtig kennenzulernen, und verschwommene Kindheitserinnerungen waren aus ihrem Inneren aufgestiegen. Nichts wirklich Greifbares, keine richtigen Geschichten, die sie hätte erzählen können, keine präzisen Beschreibungen, sondern nur ein paar undeutliche Bilder. Und vor allem dieser Gedanke, dass sie einmal Kind gewesen war, dass sie es jetzt nicht mehr war und dass sie mit diesem Großvater glückliche Augenblicke erlebt hatte, vor langer Zeit.
Er freute sich sehr, sie zu sehen. Er wirkte gelassen und nahm ihre Hände in seine, die überraschend weich waren.
»Wie geht es dir? Hattest du eine gute Fahrt?«
»Ja, ja, und es dauert gar nicht so lange«, gab Adèle vor.
»Das ist schön«, sagte Georges, ohne den Blick von seiner Enkeltochter abzuwenden. »Es ist wirklich lieb von dir, dass du gekommen bist. Es wäre nicht nötig gewesen ... Und deine Arbeit? Gibt es da keine Probleme, wenn du ein paar Tage fehlst?«
»Nein, nein, und ich fahre heute Abend ja auch wieder
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