Denn das Glueck ist eine Reise
die dort hing, wieder herunter, löschte das Licht und hoffte, dass die Medikamente die Schmerzen stillten und ihm den ersehnten Schlaf brachten.
Sonntag, 12. Oktober
Loches (Indres-et-Loire)
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Adèle legte auf. Thérèse, die Ehefrau von Charles, dem Reisebegleiter ihres Großvaters, hatte sie informiert, dass ihr Opa im Krankenhaus lag und sein Zustand kritisch war. Für ihre Karriere wäre es eine Katastrophe, wenn sie ein paar Drehtage versäumte, weil sie dann niemand mehr weiterempfehlen würde. Nachdem Adèle ein paar Minuten überlegt hatte, siegte ihr gesunder Menschenverstand. Dann würde eben ein anderer den Kaffee kochen und ihre anderen idiotischen Aufgaben übernehmen. Sie würde ihren Großvater besuchen. Basta! Die Produktionsleiterin wollte zuerst ablehnen, doch als sie begriff, dass Adèle nicht um Erlaubnis bat, sondern sie lediglich informierte, bat sie sie, so schnell wie möglich zurückzukehren. Es würde schwierig sein, so schnell eine neue Praktikantin zu finden. Zum ersten Mal dachte Adèle, dass sie vielleicht doch mehr gebraucht wurde, als sie geglaubt hatte.
Wenn sie sowohl hin als auch zurück jeweils bei Nacht fuhr, würde sie vielleicht nur einen einzigen Tag versäumen. Sie würde am Montagabend den Zug nach Paris nehmen, ein paar Stunden bei einer Freundin in Paris auf dem Futon schlafen und in aller Frühe einen Zug am Bahnhof Montparnasse nehmen. Im Laufe des Vormittags würde sie in Tours ankommen und von dort aus den Regionalzug nach Loches nehmen. Zur Mittagszeit wäre sie dann im Krankenhaus. Sie hätte nur wenige Stunden Zeit, denn am Spätnachmittag müsste sie wieder den Zug nach Paris nehmen. Während dieses einzigen Besuches musste sie sich ein Herz fassen, ihrem Großvater das zu sagen, was sie seit gestern regelrecht einstudiert hatte. Sie musste sich nur ein Herz fassen.
Von allen Leiden, die Georges ertragen musste, war eines besonders schlimm und für ihn ganz neu: keine SMS mehr zu bekommen. Er fühlte sich zwar nicht von der Welt abgeschnitten, aber einer großen Freude beraubt. Er vermisste es, diese kurzen Texte zu verfassen, und es kam ihm so vor, als seien seine Enkeltochter und Ginette plötzlich weiter weg. Außerdem war der Arzt heute Morgen zu ihm gekommen und hatte ihm mitgeteilt, dass im Laufe des Tages zahlreiche Untersuchungen und Röntgenaufnahmen gemacht werden mussten. Man würde ihn bis zum Abend von einer Station zur anderen fahren. Er musste unbedingt einen Weg finden, an sein Handy zu kommen.
In diesem Augenblick kam einer vom Servicepersonal des Krankenhauses ins Zimmer, um das Tablett abzuräumen.
»Sagen Sie, Monsieur«, bat Georges den Mann, »wären Sie wohl so freundlich, mir meine Jacke zu geben. Ich glaube, mein Handy ist in einer der Taschen.«
»Sie wissen aber, dass Handys in Krankenhäusern verboten sind, nicht wahr? Hier sind sie besonders streng. Selbst das Personal darf keine Handys benutzen. Ihre Anrufe können auf dieses Telefon hier umgeleitet werden. Ihre Angehörigen können Sie auf jeden Fall anrufen.«
»Das ist aber nicht dasselbe, wissen Sie ...«
»Ich weiß, ich weiß ... Ich schaue mal in Ihrer Jacke nach. Wo ist es?«
»Vielen Dank! Es ist in der linken Tasche. Ist es eingeschaltet?«
»Nein, es ist ausgeschaltet.«
»Oh.«
»Ich habe auch ein Handy, wissen Sie. Meine Frau sagt oft, sie wisse nicht, wie wir früher ohne gelebt haben. Ich sage ihr dann: Sehr gut haben wir gelebt!«
»Ja, ja, sicher«, pflichtete Georges ihm bei, obwohl er anderer Meinung war.
»Ich musste mir eins kaufen, als ich einen Job gesucht habe. Das ist praktischer, hieß es beim Arbeitsamt. Ah, und es ist auch einfacher, seine Geliebte anzurufen.«
Georges fragte sich, ob er sich verhört hatte. Das Gesicht des Mannes erhellte sich.
»Ha, ich hab Sie hereingelegt!« Er brach in ein schrilles Lachen aus und hörte gar nicht mehr auf zu lachen. »Sie haben mir geglaubt, nicht wahr? Hahaha! Um seine Geliebte anzurufen, hahaha!«
Tatsächlich hatte der Kranke die medizinischen Geräte und die Infusionen ein paar Sekunden lang vergessen.
»Hören Sie, Monsieur, ich möchte Sie mit meinen Geschichten nicht aufhalten«, sagte Georges schließlich mit zerknirschter Miene.
»Nein, nein, ich habe jetzt Feierabend. Ich unterhalte mich gerne mit meinen Patienten.«
Georges fand es ein wenig sonderbar, dass ein Mann, der hier als Servicekraft arbeitete, von seinen Patienten sprach, als seien es tatsächlich
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