Denn die Gier wird euch verderben - Thriller
ihren Haaren, stahl sich unter den Kragen und blieb so in den Wimpern hängen, dass sie beim Blinzeln Schnee in die Augen bekamen. Da standen sie wie zwei verirrte Schneemänner, als der Bewohner aufmachte. Sie lehnten Kaffee dankend ab, und der Beerenpflücker holte die Plastiktüte mit dem Hemd. Sie bekamen noch eine verschließbare Mülltüte, in die sie die andere hineinstecken konnten, damit es im Auto nicht so stank. Nachdem sie sich vielmals für die Hilfe bedankt hatten, liefen sie zum Taxi zurück.
»Das muss ja was ungeheuer Wichtiges sein«, sagte der Taxifahrer und musterte die zugeknotete Plastiktüte misstrauisch im Rückspiegel. »Lange Hin- und Rückfahrt. Und das bei diesem Wetter.«
Aber inzwischen waren Rebecka und Rechtsmediziner Pohjanen auf der Rückbank eingeschlafen. Sie wurden erst in Kurravaara wieder wach.
Pohjanen reichte dem Taxifahrer seine Visakarte.
Jetzt hatten sie beide einen Bärenhunger. Rotzwelpe war froh über ihren Anblick und baute sich neben dem Herd auf.
Rebecka briet Blutklöße, die sie mit zerlassener Butter, Speck und Preiselbeergelee verputzten. Dazu tranken sie Milch.
Danach bedeckten sie den Küchentisch mit Zeitungen, holten wieder ihre PET -Flaschen hervor und stärkten sich, ehe sie die Einzelteile des schmutzigen, zerfetzten Hemdes zusammensetzten, das dem toten Frans Uusitalo gehört hatte.
Den Beerenpflücker in Lainio dagegen überkam die Reue. Monatelang hatte er das Hemd in seiner Garage aufbewahrt. Dass er es gefunden hatte, hatte er ja sämtlichen Polizisten, die zuhören mochten, schon klargemacht. Aber was hatte er jetzt getan? Er hatte das blutige und zerfetzte Hemd einer Frau und einem Mann ausgehändigt, die auf seinem Hofplatz mehr oder weniger aus einem Taxi gefallen waren. Gestunken hatten sie wie nach einer gediegenen Sauferei, diese Frau mit ihren schmalen hochhackigen Stiefeln, auf denen sie herumschwankte, und dieser Halbtote, den sie bei sich gehabt hatte. Wie konnte er überhaupt sicher sein, dass die beiden wirklich Staatsanwältin und Rechtsmediziner waren? Ausgewiesen hatten sie sich jedenfalls nicht.
Wenn diese Suffköppe jetzt das Hemd verschusselten, ja, dann saß man mit dem Arsch im Waffeleisen. Was zum Teufel hatte er sich eigentlich dabei gedacht?
Es dauerte zwei Stunden, aber am Ende erhob er sich aus seinem Fernsehsessel und rief ganz einfach bei der Polizei in Kiruna an.
Eine Frau meldete sich in singendem Finnlandschwedisch.
Er hätte gern eine Quittung für dieses Hemd. Das sei ja wohl das Mindeste, was man verlangen könne?
Sonja von der Telefonzentrale stellte ihn zu Bezirksstaatsanwalt Carl von Post durch.
E S IST E NDE M AI 1915. Die Lehrerin Elina Pettersson kommt aus dem Musikpavillon, wo der nicht jugendfreie Film des Künstlers Isaac Grünewald über den Onestep aufgeführt worden ist.
Die Kritiker halten diesen Tanz für unsittlich, die ganze moderne Art zu tanzen mache den Tanz zu etwas anderem als einem Ausdruck gesunder und natürlicher Lebensfreude, und alle, die Verantwortung für die Jugend empfänden und Kultur und Verfeinerung sogar im Vergnügungsleben verlangten, müssten dieses »Paarungsspiel« aus ihrem Familienkreis verbannen.
Isaac Grünewald, der in seiner kinematographischen Antwort auf diese Vorwürfe mit seiner Frau tanzt, verteidigt den Onestep heiß. Das hier sei der Tanz der Jugend, sagt er. Genau wie der Tango. Und natürlich sei alles Neue unsittlich und unästhetisch. Wie unerhört unsittlich sei doch die moderne Kunst, sagt er.
Elina macht One- und Twostep-Schritte auf ihrem Weg. Der Schnee schmilzt, und der Boden kann das viele Wasser nicht aufnehmen. Die Straße ist wie ein Schlammfluss.
Noch immer sind die Nächte kalt, deshalb geht es morgens besser, dann knirscht das Eis unter ihren Schritten, und sie kann über den gefrorenen Schlamm gehen. Aber tagsüber brennt die Sonne wie eine Flamme. Die Schuhe stehen ausgestopft mit Heu und Zeitungspapier in der Küche zum Trocknen, sind morgens aber trotzdem noch feucht. Der Rocksaum ist mit Schlamm verschmiert. Die Schlafgänger stinken nach Stall und tragen so viel Schmutz herein, dass Flisan sich die Haare rauft.
Sie geht sonst nicht allein nach Hause, aber jetzt muss niemand in ihre Richtung. Sie hat gedacht, es sei ja noch hell und der Weg kurz. Es wäre ihr peinlich gewesen, jemanden um Begleitung zu bitten. Sie hat auch außer Flisan niemandem von Obergrubenvogt Fasth und dessen Annäherungsversuchen erzählt. Das würde nur
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