Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
von einem zweiten Deputy weggeführt.
»Hush, hush« , sagte Walter. Als sie ihn mit steinerner Miene anblickte, fügte er hinzu: »Das war ein Scherz, Elizabeth. Weißt du noch, wie toll du den Song fandest?«
»Ja, weiß ich. Ich fand in diesem Sommer viele Songs toll. Jetzt nicht mehr.«
»Ich schätze, ich habe sie dir ruiniert.«
Sie formulierte ihre Antwort sorgfältig. »Bei Liedern erinnert man sich natürlich daran, wo man war, als sie oft gespielt wurden.«
»Ich habe dir die Songs ruiniert.« Er wirkte regelrecht zerknirscht. »Daran habe ich nie gedacht. Ich habe vielleicht die Songs ruiniert, aber nicht dich. Sieh dich nur an, Elizabeth.«
Sie dachte kurz nach. Natürlich hatte Walter ihr Leben nicht zerstört, bei Weitem nicht. Sie lebte sogar sehr gut, besonders in Anbetracht dieser unsicheren Zeiten. Sie hatte Peter, sie hatte Albie und Iso. Sie hatte ihre Eltern, die beide noch in den Siebzigern gesund und munter waren. Und die letzten achtundvierzig Stunden hatten ihr gezeigt, dass sie sich sogar auf Vonnie verlassen konnte, auf die unmögliche, nervtötende Vonnie. Was fehlte ihr, was blieb ihr verwehrt?
Die Welt. Sie hatte keine engen Freunde, nur Peters Freunde und ein paar Bekannte. Und das war keine Folge der vielen Umzüge und lag nicht an den Frauen, die sie in Houston, London und nun in Bethesda kennengelernt hatte. Der Grund war nicht, wie sie gerne vorschob, dass sie für London zu amerikanisch war, für Texas zu viel Ostküste oder für Montgomery County mit seiner Fixierung auf Washington zu viel Baltimore in sich hatte. Die fehlenden Freundschaften konnte sie nicht einmal darauf schieben, dass ihre Tochter als die subtile Mobberin und Diebin der North Bethesda Middle verschrien war. Eliza hatte keine Freundinnen, weil Freundschaft zu Vertrauen und Vertraulichkeiten führte. Der dicke schwarze Strich mitten durch ihr Leben, der das Ende von Elizabeth und den Beginn von Eliza markierte, hatte das in ihren Augen unmöglich gemacht.
»Nein, du hast mich nicht ruiniert. Aber was du getan hast, wird dadurch nicht weniger schlimm.«
»Ich nenne es beim Namen: Ich habe dich vergewaltigt.« Walter sprach leise, als wollte er sichergehen, dass nur sie diese Worte hörte, niemand sonst. Aus Rücksichtnahme oder aus Scham? »Ich habe es getan. Das würde ich nie abstreiten. Du wurdest vergewaltigt, und ich habe dir das angetan. Aber kannst du verstehen, dass ich das für Liebe gehalten habe, Elizabeth? Ein wenig nur?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das war nicht unser Thema. Es hat keinen Sinn, darüber zu reden.«
»Doch, hat es. Bevor ich dir überhaupt etwas erzählen kann, musst du nämlich verstehen, dass die – die Nacht mit dir das erste und einzige Mal in meinem Leben war, dass ich Sex hatte.«
»Nein …« Sie wollte sich abwenden, das Gesicht verbergen, um ihre Gefühle zu ordnen. Das war eine Lüge, es konnte nicht stimmen, warum tat er ihr das an? »Du hast gesagt … Ich habe gelesen …«
»Ich habe gelogen. Ich habe gelogen, weil ich mich geschämt habe. So verkorkst war ich damals. Ich habe mich mehr geschämt, weil ich sexuell unerfahren war, als wegen meiner Taten. Diese ganze Geschichte, ich hätte es zu Hause schon getan, habe ich erfunden, und alle haben angenommen, ich hätte es mit den anderen Mädchen getan. Das richtige erste Mal – das einzige Mal – war mit dir. Erinnerst du dich? Das Hotel bei den Blue Ridge Mountains?«
Es war der Abend nach Hollys Tod. Walter hatte den ganzen Tag über kaum gesprochen. Er war benommen, beinahe katatonisch, und Eliza musste ihn zu den kleinsten Dingen erst auffordern. Dazu, weiterzufahren, wenn die Ampel grün wurde, oder zu antworten, als die Kellnerin beim Abendessen um seine Bestellung bat.
Das Hotel war nett, ein richtiges Hotel mit einem Restaurant, in dem es Tischdecken aus Leinen und ein aufwendiges Wandgemälde gab, auf dem Menschen in altmodischer Kleidung ein Picknick veranstalteten. War in Hollys kleiner Blechdose so viel Geld gewesen? Eine Kreditkarte? Walter drängte, sie sollte bestellen, was sie wollte, aber ihrem Magen ging es nicht gut, und er würde böse werden, wenn sie ein so teures Essen stehen ließ. Dabei rührte Walter selbst keinen Bissen an. Er schnitt nur sein Steak in immer kleinere Stückchen und zerquetschte seine Ofenkartoffel, als wäre sie etwas, das er umbringen wollte.
»Dein Onkel isst ja noch weniger als du«, bemerkte die Kellnerin.
»Ich bin nicht ihr Onkel«, sagte Walter in
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