Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
die Augen.
Früher hatten sie nie gestritten, nicht einmal einseitige Geplänkel geführt. Sie hatten sich gut verstanden, und sei es auch nur, weil Albie seine Schwester vergötterte und es ihr gefiel, vergöttert zu werden. Aber nachdem sie aus London weggezogen waren, hatte Iso beschlossen, dass sie mit Albies Verehrung nichts mehr anfangen konnte. Zu Elizas Bestürzung schien sie nach einer rabiaten Bestandsaufnahme ihres Lebens alles über Bord geworfen zu haben, was ihrem neu erfundenen Selbst gefährlich werden konnte, von ihrem kleinen Bruder bis zur letzten Silbe ihres Namens, dem harmlosen, hübschen »bel«. (»Iso?«, hatte Peter gefragt. »Das klingt ja wie Isomatte.« Die selbst ernannte Iso hatte nur die Augen verdreht.) Ein kleiner Bruder mit Sommersprossen und roten Haaren, der zu Alpträumen und einer seltsamen Aussprache neigte – nicht britisch, aber auch noch nicht ganz amerikanisch –, passte nicht zu Isos neuem Image. Ihre Mutter auch nicht, aber das hatte Eliza nicht anders erwartet. Sie konnte nur nicht ertragen, wie Albie gekränkt wurde.
»Hast du an unsere Stühle gedacht?«, fragte Albie seine Mutter.
»Sie sind im …« Eliza suchte nach dem richtigen Wort. »Gepäckraum.«
Aber auch das gefiel Iso nicht. »Das heißt nicht Gepäckraum, es heißt Kofferraum.«
Eliza scheuchte die Kinder ins Auto, einen Subaru Forester. Schon jetzt verbrachte sie jeden Tag viel Zeit in dem Wagen, und wenn erst die Schule anfing, würden es noch mehr Stunden werden.
Es war erst halb neun, aber schon sehr warm, und Eliza fragte sich, ob das Training doch noch ausfallen würde. Es gab eine Formel, nach der anhand von Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftqualität errechnet wurde, ob Aktivitäten im Freien abgesagt werden mussten. Andere Mütter sahen wahrscheinlich im Internet nach oder ließen sich automatisch über ihr Mobiltelefon – ihr Handy – benachrichtigen, aber Eliza hatte längst eingesehen, dass sie nie so sein würde.
Außerdem fuhren sie zu einem Privattraining mit hohen Ansprüchen, machohaft und ausgesprochen anglophil. Die sechs Jahre in London verschafften Iso großes Prestige, und sie gab vor, viel mehr über britischen Fußball zu wissen, als sie dort gelernt hatte. Eliza war erstaunt, wie sie das schaffte: Nach ein paar Computerrecherchen bei britischen Zeitungen und Wikipedia konnte sich Iso als Expertin verkaufen, über Manchester United und Arsenal plaudern und sich als Fan der Tottenham Hotspurs ausgeben, die sie lässig nur die »Spurs« nannte. Eliza war hin- und hergerissen zwischen Bewunderung und Missbilligung für die gesellschaftlichen Ambitionen ihrer Tochter, ganz zu schweigen von ihrer Fähigkeit, diese auch umzusetzen. Sie versuchte sich einzureden, Isos Anpassungsfähigkeit sei ein Schutz in dieser Welt, trotzdem machte sie sich um die berechnende Iso viel mehr Sorgen als um den vertrauensvollen Albie. Zyniker machten sich vor, sie hätten sich schon die schlimmsten Katastrophenszenarien ausgemalt, und wurden unweigerlich davon überrascht, wie mühelos das Leben diese übertrumpfte. Träumer waren oft enttäuscht – aber nur selten von sich selbst. Eliza hatte auf dem Computer Spyware installiert und überwachte Isos Chats, die recht harmlos wirkten. Jetzt wollte Iso ein eigenes Handy haben, und Eliza wusste nicht, ob sie die SMS nachverfolgen konnte. Sie würde sich bei anderen Müttern Rat holen müssen – falls sie irgendwann mit einigen von ihnen Freundschaft schließen konnte.
Während sie auf einem schattenlosen Feld die Campingstühle aufstellte, warf sie einen neidischen Blick auf die erfahrenen Mütter, die Sonnenschirme an ihren Stühlen befestigt hatten. Eine besonders gut vorbereitete Frau hatte sogar einen tragbaren Baldachin dabei. Eliza wünschte, sie hätte schon im Juni gewusst, dass es so etwas gab, aber wahrscheinlich hätte sie es trotzdem nicht besorgt. Stühle mit kleinen Netzen als Becherhalter zu kaufen war ihr schon dekadent genug vorgekommen. Sie und Albie machten es sich unter der brennenden Sonne bequem. Albie las ganz unbefangen Von Idioten umzingelt , während Eliza vorgab, Isos Fortschritte beim Training zu beobachten. Tatsächlich lauschte sie. Die anderen Mütter – und es waren durchweg Mütter, mit der einzigen Ausnahme eines arbeitslosen Vaters, der sich für Elizas Geschmack mit etwas zu viel Elan auf seine Rolle als Hausmann stürzte –, die anderen Mütter also waren freundlich, aber sie hatten schnell
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