Denn mein ist deine Seele: Psychothriller (German Edition)
Benedicts keine Mitgliedschaft, weil die Anzahl der Plätze gedeckelt war, und für alles andere war es draußen zu heiß. Also holte Eliza Zeichenmaterial hervor und bat die Kinder, ein paar Ideen für ihre Zimmer aufzuzeichnen. Sie versprach ihnen, sie dürften ihre Wände in jeder Farbe streichen, die ihnen gefiel, und sich bei Ikea neue Möbel aussuchen. Iso tat anfangs gelangweilt, sah sich aber nach einer Weile am Computer einige Betten an. Eliza war vom Geschmack ihrer Tochter, die zu schlichten Dingen neigte, beeindruckt. Albie entwarf sein Zimmer als prächtigen Dschungel voller Dinosaurier, für die er sich zurzeit begeisterte. Wahrscheinlich würde sich das nicht umsetzen lassen, weder bei Ikea noch in anderen Geschäften, aber es bewies eine beeindruckende Vorstellungskraft. Eliza lobte beide, gab ihnen ein Eis am Stiel und gönnte sich selbst eines mit Kirschgeschmack. Ob sie die Stiele für eine Bastelei aufheben sollten? Die Benedicts hatten schon pflichtbewusst recycelt, bevor Peter bei einer Investment-Gesellschaft für umweltbewusste Kapitalanlagen angefangen hatte.
Der Briefschlitz klapperte, als Post durchgeschoben wurde, was für ein kurzes Aufschrecken an diesem langen, stickigen Nachmittag sorgte. »Ich gehe schon!«, rief Albie, obwohl er keine Konkurrenz zu befürchten hatte. Noch vor sechs Monaten hatte sich seine Schwester mit ihm wegen einer endlosen Liste von Privilegien gebalgt und dabei das Recht der Erstgeborenen eingefordert. Sie hatten darum gestritten, die Post zu holen, beim Frühstück als Erste einen Muffin auszusuchen, Anrufe entgegenzunehmen, im Fahrstuhl den Knopf zu drücken. Jetzt stand Iso über diesen Dingen.
Albie sortierte die Post auf der Küchenanrichte. »Papa, Rechnung, Werbung, Katalog. Papa, Werbung. Werbung. Werbung. Papa. Mama! Ein richtiger Brief.«
Ein richtiger Brief? Wer sollte ihr denn einen richtigen Brief schreiben? Wer schrieb überhaupt noch Briefe? Ihre ältere Schwester Vonnie grub gerne alte Streitigkeiten aus, doch so was richtete sie meist als E-Mail an ihre Eltern. Eliza betrachtete den schlichten weißen Umschlag von einer Postfachadresse in Baltimore. Kannte sie noch jemanden aus Baltimore? Die Adresse in violetter Tinte war so säuberlich geschrieben, dass sie auch aus einem Drucker stammen konnte. Wahrscheinlich war das nur Werbung, die sich als echter Brief tarnte, ein billiger Trick.
Aber nein, dieser Brief war echt, er enthielt ein Blatt aus einem Ringbuch und einen Ausschnitt aus einem Hochglanzmagazin, ein Foto von Peter und Elizabeth auf einer Party von Peters Firma Anfang des Sommers. Die Schrift wirkte penibel und weiblich, Eliza kannte sie nicht, aber der eindringliche Ton war ihr sofort vertraut.
Liebe Elizabeth,
das ist sicher ein Schreck, dabei will ich dich gar nicht erschrecken. Noch vor ein paar Wochen hätte ich nie gedacht, dass ich noch einmal in Kontakt zu dir treten würde, was ich nur für fair gehalten habe, und zwar mehr als zwanzig Jahre lang. Aber wenn man direkt vor sich ein Zeichen sieht, kann man es nur schwer ignorieren, und plötzlich war da dein Foto im Washingtonian, der normalerweise so gar nicht mein Fall ist, aber du würdest staunen, was ich heutzutage alles lese. Du bist natürlich älter geworden, du bist jetzt erwachsen, und das offensichtlich schon eine ganze Weile. Aber ich würde dich überall wiedererkennen …
»Von wem ist der Brief, Mama?«, fragte Albie. Sogar Iso schien vage an dieser Kuriosität interessiert zu sein, an diesem Brief für ihre Mutter, deren Name sonst nur auf Katalogen und Erinnerungen vom Zahnarzt stand. Sahen die Kinder, wie ihre Hände zitterten, bemerkten sie den kalten Schweiß auf ihrer Stirn? Eliza hätte den Brief am liebsten zusammengeknüllt und von sich geschleudert, aber damit hätte sie die beiden nur neugierig gemacht.
»Von jemandem, den ich kannte, als ich jung war.«
Wie es aussieht, werden sie meine Strafe bald endlich vollstrecken. Ich will den großen Wörtern – Tod, Hinrichtung und so weiter – gar nicht ausweichen, ich will nur genau sein. Es ist nun mal meine Strafe. Ich wurde zum Tode verurteilt, und das habe ich akzeptiert.
Ich dachte, ich hätte alles akzeptiert, aber dann habe ich dein Foto gesehen. Auch wenn es manch einem vielleicht komisch vorkommt, habe ich doch das Gefühl, dass ich dich am meisten um Verzeihung bitten muss, dass ich für das, was ich dir angetan habe, nie gebüßt habe, für das Verbrechen an dir nie zur Rechenschaft
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