Denn niemand hört dein Rufen
Scott Peterson auf, der überall Plakate mit dem Bild seiner vermissten Frau aufhängte, während in Wirklichkeit er derjenige war, der sie umgebracht und ihre Leiche in den Pazifik geworfen hatte.
»Mike«, ließ sich seine Sekretärin aus der Sprechanlage vernehmen.
Aus seinen Grübeleien aufgeschreckt, sagte Michael: »Oh, äh, ja, Liz.«
»Katie Aldrich ist hier. Sie möchte Sie sprechen.«
»Katie! Natürlich. Schicken Sie sie rein.«
Mike beeilte sich, aufzustehen und seinen Schreibtisch zu umrunden. Als sich die Tür öffnete, begrüßte er das schlanke, blonde vierzehnjährige Mädchen mit ausgebreiteten Armen. »Katie, du hast mir gefehlt.« Er spürte, wie sie zitterte, als er sie in die Arme schloss.
»Mike, ich habe solche Angst. Bitte sag mir, dass sie Daddy auf keinen Fall schuldigsprechen werden.«
»Katie, dein Vater hat einen guten Anwalt, einen der besten. Alles beruht nur auf der Aussage eines überführten Gauners.«
»Warum haben wir dich seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen?« Sie musterte sein Gesicht.
Mike führte sie zu der Sitzgruppe vor den Fenstern, die auf die Eisbahn des Rockefeller Center hinausgingen. Als sie beide saßen, beugte er sich vor und nahm ihre Hand. »Katie, der Vorschlag kam von deinem Vater, nicht von mir.«
»Nein, Mike. Als er dir am Telefon diesen Vorschlag gemacht hat – das war seine Art, dich zu prüfen. Er sagte, wenn du überzeugt gewesen wärst, dass er unschuldig ist, dann wärst du nicht auf diesen Vorschlag eingegangen.«
Mike sah den Zorn und das Verletztsein in ihrer Miene und spürte Scham aufsteigen. Hatte sie womöglich Recht? »Katie, ich bin Journalist, und als solcher sollte ich nicht in die Einzelheiten der Verteidigung deines Vaters eingeweiht sein. Wenn ich aber in eurer Wohnung ein und aus ginge, würde ich zwangsläufig Dinge hören, die ich eigentlich nicht wissen sollte. Und auch so werde ich in meiner Sendung immer wieder darauf hinweisen müssen, dass ich mit deinem Vater seit langem eng befreundet bin, aber nicht mit ihm sprechen werde, bis der Prozess vorüber ist.«
»Kannst du die öffentliche Meinung beeinflussen, so dass die Leute, falls er freigesprochen wird« – Katie zögerte – »wenn er freigesprochen wird, die Leute auch wirklich begreifen werden, dass er unschuldig ist und vollkommen zu Unrecht angeklagt wurde?«
»Katie, die Leute werden sich ihr Urteil selbst bilden, ganz gleichgültig, was ich dazu sage.«
Katie entzog ihm ihre Hand und erhob sich. »Ich soll im Herbstsemester nach Choate zurück, aber ich werde nicht hingehen. Ich werde mich darum kümmern, dass ich den Schulstoff mit einem Privatlehrer durchnehme. Ich werde jeden Tag beim Prozess anwesend sein. Dad braucht jemanden, der bedingungslos auf seiner Seite steht. Ich hatte eigentlich gehofft, dass auch du dazugehören würdest. Dad hat immer gesagt, dass du ein unglaublich guter Anwalt gewesen bist.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, eilte sie zur Tür. Mit der Hand bereits an der Klinke drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Ich wünsche dir, dass du eine Bombenquote erreichst, Mike«, sagte sie. »Dann wirst du bestimmt auch einen üppigen Bonus kassieren.«
10
E ine Woche vor Beginn des Prozesses war Emily vorsichtig optimistisch. Nach der Arbeit der letzten Monate fühlte sie sich einigermaßen gut vorbereitet. Der Sommer war vorbeigerauscht, ohne dass sie ihn richtig mitbekommen hätte. Im Juli hatte sie sich eine Woche freigenommen und ihren Vater und seine Frau Joan in Florida besucht, und dann war sie im August fünf Tage in Kalifornien bei ihrem Bruder Jack und seiner Familie gewesen, das war alles.
Das Wiedersehen mit ihnen allen war wunderschön gewesen, doch sie hatte ihre Gedanken nie ganz von dem anstehenden Prozess lösen können. Im Juli und August hatte sie die achtzehn Zeugen, die sie aufbieten wollte, sorgfältig befragt und sich ihre Aussagen in allen Einzelheiten eingeprägt.
Die intensive Vorbereitung war auch so etwas wie ein Wendepunkt bei ihrer Aufarbeitung von Marks Tod. Obwohl sie ihn immer noch sehr vermisste, quälte sie sich nicht mehr ein Dutzend Mal am Tag mit dem Satz, der ihr so viel Kraft geraubt hatte: »Wenn er doch noch leben würde, wenn er doch …«
Stattdessen tauchte, seit sie die Zeugengespräche führte, immer öfter das Gesicht von Gregg Aldrich in ihren Gedanken auf. Besonders war das der Fall gewesen, als Natalies Freundinnen berichteten, wie verzweifelt und unglücklich
die
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