Denn niemand hört dein Rufen
nachdem ich seine Aussage im Zeugenstand gehört habe, und angesichts der sonstigen Beweislage bereue ich zutiefst, an ihm gezweifelt zu haben. Ich glaube, dass Gregg die Wahrheit sagt. Ich glaube, dass er unschuldig ist und dass diese Anklage gegen ihn ein riesiger Fehler und eine große Tragödie ist.«
»Und wer, glauben Sie, hat dann Natalie Raines erschossen?« , fragte Reilly.
»Ein Einbrecher könnte von ihr überrascht worden sein«, antwortete Gordon. »Auch wenn nichts gefehlt hat, der Eindringling könnte in Panik geraten und geflohen
sein, nachdem er auf sie geschossen hat. Oder es könnte ein geistesgestörter Fan gewesen sein. Es gibt so viele Menschen, die einen Kunstfelsen mit einem versteckten Schlüssel in ihrem Garten stehen haben. Ein erfahrener Einbrecher weiß genau, wo solche Dinge normalerweise versteckt werden.«
»Vielleicht sollte man Jimmy Easton fragen, ob er weiß, wo man nach Ersatzschlüsseln suchen muss«, schlug Brett Long, der Kriminalpsychologe, vor.
Alle in der Runde lachten, und Michael Gordon erinnerte die Zuschauer daran, dass Emily Wallace, die schöne junge Staatsanwältin, am Montag Gregg Aldrich ins Kreuzverhör nehmen würde. »Er wird der letzte Zeuge der Verteidigung sein. Danach, wenn beide Parteien ihre Schlussplädoyers gehalten haben und der Richter die Geschworenen über das weitere Verfahren unterrichtet hat, wird der Fall an die Geschworenen übergeben werden. Wenn sie mit den Beratungen beginnen, werden wir eine weitere Meinungsumfrage auf unserer Webseite durchführen. Prüfen Sie die Beweise sorgfältig und stimmen Sie ab. Danke, dass Sie heute Vor Gericht gesehen haben. Gute Nacht.«
Es war zehn Uhr. Nachdem er noch ein paar Worte mit den aufbrechenden Teilnehmern der Runde gewechselt hatte, ging Michael in sein Büro und wählte die Nummer, die er seit sieben Monaten nicht mehr gewählt hatte. Als Gregg sich meldete, sagte er: »Hast du zufällig die Sendung gesehen?«
Gregg Aldrichs Stimme war belegt. »Ja. Danke, Mike.«
»Hast du schon zu Abend gegessen?«
»Ich hatte keinen Hunger.«
»Wo ist Katie?«
»Mit einer Freundin im Kino.«
»Im Neary’s wird die Küche erst spät geschlossen. Keiner wird dich dort behelligen. Wie wär’s?«
»Klingt gut, Mike.«
Als Michael Gordon den Hörer auflegte, waren seine Augen feucht.
Ich hätte ihm die ganze Zeit zur Seite stehen müssen, dachte er. Er klingt so einsam.
27
E mily saß in ihrem Wohnzimmer, nippte hin und wieder an einem Glas Wein und schaute sich Vor Gericht an. Er hat Recht, dachte sie, als sie den Kommentar von Richter Reilly hörte. Meine ganze Anklage hängt an der Aussage eines Zeugen, der so aalglatt ist, wie ein Mensch nur sein kann.
Sie fühlte sich niedergeschlagen, als habe ihr jemand den Wind aus den Segeln genommen, und sie wusste auch warum. Ich war so besessen davon, Aldrich in die Enge zu treiben, dachte sie. Und dann kam Richard Moore und führte lang und breit seine Zeugen vor, die Nachbarin aus Jersey City, die Sekretärin, das Kindermädchen, die alle Gregg Aldrich für einen Heiligen halten. Es war richtig von mir, nicht weiter darauf einzugehen und keine Fragen zu stellen. Es wäre ein Riesenfehler gewesen, wenn ich versucht hätte, ihre Aussagen oder sie selbst in Zweifel zu ziehen.
Und Leo Kearns, der andere Agent? Hätte ich bei ihm stärker nachbohren sollen? Vielleicht. Niemand ist so vollkommen selbstlos, wenn er einen Klienten verliert. Als Theateragent zu arbeiten, muss ein ziemlich hartes Geschäft sein. Bei Kearns klang es eher nach einem Tennismatch – wir haben uns alle lieb.
Gregg Aldrich. Dieser Schmerz in seinem Gesicht, als er von seiner ersten Frau sprach … Ich werde allmählich sentimental,
dachte Emily. Ich konnte seinen Schmerz nachempfinden, den gleichen Schmerz, den ich erlitt, als Mark gestorben ist.
»Hoch oben in den Bergen, da steht ein neues Haus … und Jean, die tapfere, die treue … hat es neu aufgebaut.« Ein Volkslied aus ihrer Kindheit ging Emily durch den Kopf. Gregg Aldrich hat versucht, sein Leben neu aufzubauen, dachte sie. Er hat wieder geheiratet. Er hat Natalie offensichtlich sehr geliebt. Und dann, als sie ermordet wurde, musste er nicht nur diesen Schmerz ertragen, sondern sich auch gegen die Polizei zur Wehr setzen, die ihn verdächtigte, seine Frau umgebracht zu haben.
Sie kippte den Rest Wein hinunter. Mein Gott, was ist los mit mir?, fragte sie sich ärgerlich. Meine Aufgabe ist es, diesen Kerl
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