Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn niemand hört dein Rufen

Denn niemand hört dein Rufen

Titel: Denn niemand hört dein Rufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Higgins Clark
Vom Netzwerk:
anzuklagen.
    Gegen Ende der Sendung gab dann Michael Gordon überraschend seine neutrale Haltung auf und ergriff eindeutig Partei für Aldrich. Emily, die wusste, dass Gordon allgemein als fairer Beobachter eingeschätzt wurde, war entsetzt.
    Doch dann spürte sie eine grimmige Entschlossenheit. Wenn Gordon repräsentativ ist für die Leute, die sich die Sendung ansehen, und wenn seine Ansicht repräsentativ ist für die Art und Weise, wie die Geschworenen denken, dann weiß ich jetzt zumindest, welche Aufgabe auf mich wartet, dachte sie.

28
    J a, ist denn das die Möglichkeit?«, rief Isabella Garcia aus, die mit ihrem Mann Sal im kleinen Wohnzimmer ihrer Wohnung in der East Twelfth Street in Manhattan saß. Sie hatte sich gebannt die Sendung Vor Gericht angesehen und traute kaum ihren Ohren, als Michael Gordon in der Runde erklärte, er glaube inzwischen, dass Gregg Aldrich unschuldig sei. Doch obwohl sie wie vom Donner gerührt war, sagte sie zu ihrem Mann, wenn man es recht bedenke, müsse man alles in allem eigentlich zu derselben Schlussfolgerung wie Gordon kommen.
    Sal trank sein Bier und hatte sich in den Sportteil vertieft. Mit Ausnahme von Nachrichten und Baseball- oder Footballübertragungen interessierte ihn im Fernsehen rein gar nichts, und er besaß die seltene Gabe, Bild und Ton völlig auszublenden, wenn er las.
    Er hatte auch gestern nicht wirklich hingeschaut, als Belle ihn aufgefordert hatte, sich die Filmausschnitte von der Verhandlung mit der Zeugenaussage dieses Gauners anzusehen. Doch bei dem einen kurzen Blick, den er auf den Bildschirm geworfen hatte, war ihm der Kerl aus irgendeinem Grund bekannt vorgekommen. Aber er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern, bei welcher Gelegenheit er ihm schon über den Weg gelaufen sein könnte, und außerdem war ihm das auch vollkommen egal.
    Da er wusste, dass Belle sich jetzt über die Sendung unterhalten
wollte, ließ Sal pflichtbewusst die Zeitung sinken. Immer wenn sie Vor Gericht gesehen hatte, brannte sie darauf, ihre Meinung über die Verhandlung loszuwerden. Unglücklicherweise befand sich ihre Mutter gerade auf einer Kreuzfahrt in der Karibik mit einigen ihrer ebenfalls verwitweten Freundinnen und stand daher nicht für das sonst übliche ausgedehnte Telefongespräch zur Verfügung.
    »Ich muss sagen, dass Gregg wirklich sehr gut rüberkam«, fing Belle an. »Ich finde, er hat so eine nette Art an sich. Warum Natalie ihn überhaupt verlassen hat, ist schwer zu begreifen. Wenn sie unsere Tochter gewesen wäre, hätte ich sie mir vorgenommen und ihr gesagt, was ein sehr kluger Mann einmal geschrieben hat: ›Am Ende seines Lebens hat noch nie jemand gesagt, er wünschte, er hätte mehr Zeit im Büro verbracht.‹«
    »Sie hat auf der Bühne gearbeitet, nicht in einem Büro«, bemerkte Sal. Man könnte geradezu glauben, dass es von Belles Meinung abhängt, wie der Prozess ausgehen wird, dachte er halb amüsiert, halb gereizt, während er seine seit fünfunddreißig Jahren mit ihm verheiratete Ehefrau musterte. Seit Jahrzehnten ließ sie sich die Haare färben, daher besaßen sie jetzt, wo sie sechzig war, immer noch denselben pechschwarzen Ton, den sie schon gehabt hatten, als er sie kennengelernt hatte. Ihre Figur war etwas in die Breite gegangen, aber nicht sehr viel. Ihre Mundwinkel zeigten nach oben, weil sie so viel lächelte. Er vergaß selten, seinem Schöpfer dafür zu danken, dass Belle so ein gutmütiges Wesen besaß. Sein Bruder war mit einem Hausdrachen verheiratet.
    »Bühne oder Büro, du weißt schon, was ich meine.« Belle tat Sals Bemerkung mit einer Handbewegung ab. »Und Katie ist so ein hübsches Mädchen. Ich bin immer ganz glücklich, wenn Michael Bilder von ihr in der Sendung zeigt.«

    Belle besitzt die Eigenart, von wildfremden Menschen zu sprechen, als wären sie ihre engen Freunde, dachte Sal. Wenn sie ihm eine Geschichte erzählte, dauerte es manchmal ein paar Minuten, bevor er begriff, dass sie nicht über jemanden sprach, den sie beide persönlich kannten. Michael Gordon, der Moderator von Vor Gericht , war immer nur »Michael«. Natalie Raines war immer nur »Natalie«. Und der angeklagte Mörder wurde natürlich immer liebevoll »Gregg« genannt.
    Um zwanzig vor zehn war Belle immer noch heftig in Fahrt. Sie sprach darüber, wie gut es doch gewesen sei, dass Suzie, die Haushälterin von Natalies Nachbarin, aus Neugier ins Haus gegangen war, um nach Natalie zu sehen, und sie dann sterbend auf dem Fußboden

Weitere Kostenlose Bücher