Denn rein soll deine Seele sein
unbegreiflich.«
»Manche Leute sind eben weniger gefühlsbetont als andere.« Decker griff nach der Megilla. »Schön, nicht?«
Der Rabbi besah sich die Schriftrolle näher. »Auch diese Megilla kommt aus Polen, sie dürfte an die dreitausend Dollar wert sein. Der Text ist besonders klar und gut erhalten.«
»Wenn Sie wollen, können Sie das gute Stück in Ihrer Sammlung ausstellen. Ich bin zur Zeit nicht so knapp bei Kasse.«
»Sie sind ein guter Mensch.«
Decker lächelte ein wenig und hob verlegen die Schultern.
Der Rabbi machte den zweiten Karton auf und kramte zwischen dem Zeitungspapier herum.
»Das sind jüdische Gesetzesbücher, hat Rina gesagt.«
»Ganz recht, mein Freund.« Der Rabbi wickelte einen ledergebundenen Folianten aus. »Eine komplette Sammlung. Talmudausgaben können wir immer gebrauchen. Ich danke Ihnen.«
Er sah Decker forschend an. »Erstaunlich, was für Schätze noch auf verstaubten Dachböden und in alten Kellern lagern. Ich werde Ihr kostbares Gut gewissenhaft hüten.«
»Das weiß ich, Rabbi.«
»Eine Frage noch. Wann ist der Großvater Ihrer Frau gestorben?«
»Wir hatten gerade die Scheidung eingereicht, es muß jetzt fünf Jahre her sein.«
»Interessant. Und wo wohnte er, als er starb?« Decker witterte mehr als bloße Neugier hinter der Frage. »In Los Angeles. Warum?«
»Wie kommt es dann, Detective Decker, daß diese Bücher in eine New York Times eingewickelt sind, die erst zwei Jahre alt ist?«
Gerissener alter Schurke, dachte Decker. Er schwieg.
»Ich mag kaum glauben, daß die Angehörigen Ihrer Frau völlige Banausen sind. Vielleicht täten Sie gut daran, Ihre Geschichte etwas abzuändern. Oder Ihr Märchen zumindest mit den vorliegenden Daten abzustimmen.«
Decker sah aus dem Fenster.
»Setzen Sie sich doch«, sagte der Rabbi.
Decker rührte sich nicht.
»Woher haben Sie diese Bücher?«
»Von meinem Vater. Nicht von meinem richtigen Vater. Von meinem Erzeuger. Ich bin ein adoptiertes Kind.«
»Ihr Erzeuger war Jude«, stellte der Rabbi fest.
»Und meine eigentliche Mutter ebenfalls. Somit bin auch ich Jude. Aber ich fühle mich nicht als Jude. Meine Eltern -das sind die beiden Menschen, die mich aufgezogen haben. Als Kind war ich Baptist. Jetzt bin ich im Grunde gar nichts. Wie hat Rina neulich gesagt? Zum Thorajuden wird man nicht durch den Zufall der Geburt, dazu gehört viel mehr.«
»Das hat sie gesagt? Bravo. Dann weiß sie also um Ihre Herkunft?«
»Nein. Ich wollte eigentlich mit ihr darüber sprechen, habe es mir dann aber doch anders überlegt. Es wäre im Augenblick eine zu große Ablenkung. Wir sind beide noch anderweitig engagiert. Sie soll an den Sittenstrolch denken, der sie bedroht, nicht an mich. Außerdem könnte ich es meinen Eltern nicht antun, mich plötzlich als Jude zu bekennen. Es würde sie sehr treffen.«
»Und wie sind Sie nun an diese Bücher gekommen?«
»Ich wollte Genaueres über meine Herkunft wissen. Vor zwanzig Jahren war es noch nicht so einfach, Adoptionsunterlagen einzusehen, aber weil ich in dem Staat, in dem ich adoptiert worden war, bei der Polizei arbeitete, konnte ich meine Beziehungen spielen lassen. Um es kurz zu machen -meine Mutter stammte aus einer frommen jüdischen Familie in New York und wurde, nachdem sie dort in Schwierigkeiten geraten war, mit fünfzehn nach Miami geschickt. Sie ist jetzt um die Fünfzig, hat fünf Kinder und einen Haufen Enkel, und ich würde mich nie plötzlich in ihr Leben drängen und sie verunsichern.
Auch den Namen meines Vaters fand ich in den Unterlagen. Bei ihm lag der Fall anders. Er war um einiges älter als meine Mutter, hatte nie geheiratet und wohnte allein in der Lower East Side von New York. Eines Tages nahm ich meinen Mut zusammen, flog nach New York und suchte ihn auf. Er war sehr nett, man konnte gut mit ihm reden. Er war Diamantenschleifer gewesen und damals schon im Ruhestand. Groß wie ich, große Hände. Ich bin ihm nachgeschlagen. Es war schon seltsam für mich, jemandem ähnlich zu sehen. Er hat immerfort versucht, mich zu trösten, er schien zu denken, daß ich böse auf ihn war. Er und meine Mutter wären eben nicht füreinander bestimmt gewesen, das hat er ein paarmal wiederholt. Nicht beschert, so hat er es gesagt. Ich habe ihm meine Adresse gegeben und ihn gebeten, sich zu melden, und ich habe ihm auch geschrieben, aber er hat nie geantwortet. Schließlich habe ich es aufgegeben. Vor zwei Jahren bekam ich die Bücher und noch einige andere
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