Denn wer zuletzt stirbt
unbarmherzig herannahenden Verfolgers nahm ich diese nächste Kurve einfach zu schnell, oder besser gar nicht, bei eingeschlagenem Steuer hielt der Golf eigensinnig die Richtung bei und hob ab. Die Welt blieb stehen. Das Universum war plötzlich ohne Dimension, wie in der Nanosekunde vor dem Big Bang.
Natürlich blieb die Welt nicht stehen, meine Wahrnehmung jedoch hatte auf Zeitlupe geschaltet. Nicht daß jetzt mein bisheriges Leben als Film vor mir ablief, Gott sei Dank, dafür aber die unmittelbare Zukunft. Und die sagte mir, daß ich nichts gewonnen hätte, im Gegenteil hatten Margitta und Manfred ihr Ziel erreicht. Würde mich der Aufschlag nicht töten, würden sie selbst die Sache zu Ende führen, mit einem Wagenheber oder dem großen Kreuzschlüssel für die Radmuttern zum Beispiel eine Prellmarke mehr würde an dem, was von Dr. Hoffmann übriggeblieben war, nicht auffallen.
Nach dem zweiten Überschlag war ich immer noch bei Bewußtsein, mir fiel Celine ein. Einem kurzen Augenblick des Triumphs – die beiden wußten nichts von Celine, Celine mit ihrem Wissen würde sie weiter verfolgen und mich schließlich rächen! – folgte die deprimierende Erkenntnis, daß mein Leben nicht auf diese Art und Weise geendet hätte, wüßten Margitta und Manfred von Celine und würden nicht annehmen müssen, mit mir die Gefahr für ihre Geschäfte endgültig aus der Welt geschafft zu haben.
In tausend Splittern flog mir die Windschutzscheibe entgegen, wie ein Schraubstock bohrte sich das Lenkrad in meinen Brustkorb. Vor sechzehn Jahren hatte man beim Golf auf Luxuszutaten wie einen Airbag noch verzichtet. Nach dem dritten oder vierten Überschlag landete der Wagen endgültig auf dem Dach oder auf dem, was einmal das Dach gewesen war. Kurz nahm ich einen hellen Blitz wahr, dann gab es kein Universum mehr.
12
Mit den folgenden Stunden verhält es sich wie mit den Erinnerungen an die frühe Kindheit – an was erinnern wir uns wirklich und wo vermischen sich Erzählungen dritter und eigene Erinnerung? Jedenfalls muß ich eine Weile bewußtlos gewesen sein. Als ich wieder zu mir kam, reduzierte sich mein Denken auf drei Feststellungen: Erstens lebte ich noch. Zweitens waren Margitta und Bruder Manfred dabei, diesem für sie unerfreulichen Umstand abzuhelfen, deutlich hörte ich sie mit irgendwelchen großen Werkzeugen hantieren. Drittens war ich außerstande, sie daran zu hindern. Meine Panik nahm zu. Eingeklemmt zwischen verbogenem Lenkrad und geborstenem Armaturenbrett konnte ich mich keinen Millimeter bewegen. An Schmerzen erinnere ich mich nicht, aber daran, daß ich kaum Luft bekam. Selbst wenn mich Margitta und Manfred nicht zur Strecke brächten, würde ich bald erstickt sein. Wahrscheinlich hatten sich ein paar meiner gebrochenen Rippen in die Lunge gebohrt.
»Mehr Licht!«
Moment mal, waren bedeutende letzte Worte nicht an mir? Und wenn schon, dann ein paar neue?
»Immer mit der Ruhe, den hier gibt‘s sowieso nur noch in Einzelteilen.«
»Komm lieber mit der Flex rüber, ich glaube, der hat sich bewegt.«
Die Leute mit dem großen Werkzeug, die mehr Licht brauchten, waren nicht Margitta und Manfred, sondern Feuerwehrmänner, die mich mit riesigen pneumatischen Schneidzangen aus dem tödlichen Blechhaufen schnitten. Das unsägliche Knirschen von Metall auf Metall und das Krachen von Metall auf Glas drang in mein Bewußtsein. Gut, sagte ich mir, ich kann noch hören. Wenn ich von nun ab im Rollstuhl sitze, bleibt mir wenigstens Mozart. Und der war in meinem Alter längst tot gewesen.
»Ich glaube, jetzt kommen wir an den ran.«
Ich meine sogar, mich an das Knattern des landenden Hubschraubers zu erinnern, aber vielleicht reimen sich das meine Neuronen auch nur so zusammen. Vielleicht auch nicht, denn ich bin sicher, daß ich trotz meiner Erstickungspanik zu der wichtigen Feststellung kam, daß der Schneefall aufgehört haben müsse, wenn sie es mit dem Hubschrauber schafften. Und ganz sicher erinnere ich mich an das erste Gesicht, das ich wahrnahm: Ulf Vogel, seit Jahren leitender Notarzt unserer HumanaKlinik. Stimmt, fiel mir ein, in der märkischen Schweiz war ich immer noch im Einzugsgebiet unseres Rettungshubschraubers.
»Mensch Felix, du siehst beschissen aus. Echt! Kriegst du keine Luft?«
Da hatte er mir auch schon einen Zugang gelegt und mich mit reichlich Morphin abgeschossen. Ich merkte nicht mehr, wie er mir zwei dicke Kanülen zwischen den Rippen hindurchjagte, damit sich meine Lungen wieder
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