Denn wer zuletzt stirbt
Doch lieber setzte ich mich dieser Gefahr aus, als Patient von Dr. Valenta zu werden. Ein Glück, daß ich wieder protestieren konnte.
Ulf sah mich erstaunt an. Wahrscheinlich führte er meinen Protest auf die Kombination von posttraumatischem Schock und Nachwirkungen der Narkose zurück.
»Also, schlaf jetzt. Morgen sehen wir weiter.« An der Tür drehte er sich um.
»Oh, du hast Besuch. Bist du vernehmungsfähig?«
Kleiner Scherz unter Ärzten, dachte ich, aber es war keiner. Die beiden Herren, die Ulf einließ, stellten sich als Oberwachtmeister Soundso und Kollege Wachtmeister Soundso vor. Sie fühlten sich sichtlich unbehaglich, die Umgebung aus Monitoren, Schläuchen und Kabeln lag jenseits ihrer Kontrolle. Mehr noch hatte man sie der Sicherheit ihrer grünen Uniformen beraubt und in unsere sterilen blauen Besucher-Kartoffelsäcke gesteckt.
»Unsere Kollegen in Brandenburg haben uns gebeten, mit Ihnen zu sprechen, Dr. Hoffmann. Fühlen Sie sich dazu in der Lage?«
Ich nickte betont schwach und fuhr automatisch mein Gipsbein weiter ein, erwartete ich doch von einem Polizisten weniger Rücksichtnahme als vom Kollegen Vogel. Aber Blödsinn, nur Ärzte setzen sich auf Krankenhausbetten, der Rest der Bevölkerung fürchtet sie als todsichere Quelle unheilbarer Infektionen, gefährlicher noch als die Klobrille im Hauptbahnhof.
»Also, wie gesagt, die Kollegen in Brandenburg haben ein paar Fragen zum Unfallhergang.«
Der Oberwachtmeister zog ein Notizbuch hervor, an das er, wahrscheinlich in unbezahlter Heimarbeit, mit einer Schnur einen Bleistift geknüpft hatte, und schaute mich erwartungsvoll an. Ich rettete mich einstweilen in einen zeitgewinnenden Hustenanfall. Ob und an was ich mich gegenüber der Polizei erinnern würde, wollte gut überlegt sein. Aktuell schien mir Zurückhaltung geboten.
»Ich fürchte, da kann ich Ihnen nicht helfen. Im Moment wenigstens entsinne ich mich nur an Schneeregen, glatte Landstraßen und blendende Scheinwerfer. An den Unfall selbst habe ich keine Erinnerung.«
Betrübte Gesichter bei meinen beiden Wachtmeistern.
»Haben Sie eine Wettfahrt gemacht oder so etwas?«
Sah ich wirklich dermaßen dämlich aus? Was zum Beispiel würde meine Autoversicherung zu einer kleinen Wettfahrt im Schnee sagen, mal abgesehen von etwaigen strafrechtlichen Konsequenzen bei zwei Toten im Maisfeld?
»Mit wem soll ich denn eine Wettfahrt veranstaltet haben?« Der Wachtmeister konsultierte sein Notizbuch.
»Nun, Sie kannten doch Frau Seeger?«
Selbst ein paar Stunden nach einem fast tödlichen Unfall und Valenta und Operation erkannte ich sofort, wenn die Zeit für eine klare Lüge gekommen ist.
»Nein.«
»Nein?«
»Nein«, lenkte aber vielleicht gerade noch rechtzeitig ein, »Frau wer?«
Der Hauptwachtmeister zog ein Faltblatt aus seinem Notizbuch und reichte es mir.
»Frau Seeger. Sie hat hier lange gearbeitet, schreibt sie wenigstens. Eigenartig, daß Sie sie nicht kennen.«
Das Faltblatt war mir gut bekannt, ein ganzer Stapel davon lag auf meinem Schreibtisch im Arztzimmer. Auf ihm warb Margitta Seeger, »examinierte Krankenschwester mit langjähriger Tätigkeit in der Humana-Klinik« für ihren Hauspflegedienst Süd. Rechts oben entstellte ein eingetrockneter dunkelroter Fleck das Konterfei der examinierten Krankenschwester. Offensichtlich waren ein paar ihrer Faltblätter in Margittas BMW mitgefahren.
»Das ist Schwester Margitta. Natürlich kenne ich Schwester Margitta. Sie hatten nach einer Frau Seeger oder so gefragt. Von unseren Schwestern kennen wir in der Regel genausowenig den Nachnamen, wie ich je Ihren Vornamen wissen werde.«
»Franz«, half der Hauptwachtmeister aus.
Also nahm Franz das Faltblatt wieder an sich, faltete es sorgfältig und steckte es vorsichtig, wie ein Beweisstück, in sein Notizbuch zurück. Zeit zum Abmarsch. Wahrscheinlich, weil Anästhesist Bernd hereingekommen war und in stummem Vorwurf drängte, seinen Patienten in Frieden zu lassen.
»Sie sollten sich lieber um meinen Hund kümmern!«
Besorgt kontrollierte Bernd meine Werte am Monitor und strich mir über die Stirn.
»Du hast keinen Hund, Felix, noch nie gehabt. Du hast nicht einmal einen Kanarienvogel!«
Verständiges Blicketauschen zwischen Bernd und den Bullen.
»Wenn er sich erholt hat, wird ihm vielleicht der Unfallhergang doch noch einfallen.« Oberwachtmeister Soundso gab Bernd eine Karte.
»Er soll uns dann anrufen.«
»Oder«, ergänzte sein Kollege, »wenn er uns sonst
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