Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
Vom Netzwerk:
ordentlich mit Luft füllen konnten, wie er mir einen Tubus in die Luftröhre bugsierte oder wie sie mich zum Hubschrauber schleppten. Das war auch gut so, denn wenn ich vor etwas mehr Angst habe als vorm Sterben oder mit offenem Hosenschlitz in der U-Bahn zu stehen, ist es vorm Fliegen.

    Erst in der Klinik ließen mich die Kollegen Chirurgen wieder aufwachen, genug jedenfalls, damit ich meine Schmerzen spüren konnte, und schönen Dank, davon hatte ich reichlich. Das allerdings war auch der Zweck der Übung. Neben meinen offensichtlichen Verletzungen, als deren bedenklichster Zeuge mein rechter Unterschenkel in einem grotesken Winkel zum Rest meines Körpers stand, wollten die verehrten Kollegen wissen, wie die inneren Organe das Fehlen von Airbag und Co. verkraftet hätten – im Angebot waren Leberriß, Milzriß und was sonst noch alles reißen kann.
    Eine Möglichkeit wäre gewesen, mich komplett durch den Computertomographen zu schieben, aber das hätte Zeit gekostet, und außerdem war der wahrscheinlich wie üblich mit einem anderen Notfall belegt oder wurde gerade gewartet. Bleibt also die altbewährte Methode.
    »Tut‘s hier weh?«
    Mein gesamtes Sein bestand im Moment aus Schmerzen! Trotzdem brachten meine Kollegen es fertig, diese Schmerzen noch zu steigern. Was waren das für Unmenschen? Schüler von Dr. Mengele? Weit gefehlt. Schüler von Dr. Hoffmann! Sogar mein lädiertes Hirn erkannte sie als eifrige Teilnehmerinnen an meinem Kursus »manuelle Untersuchung bei Polytrauma«. Und sie hielten sich genau an das, was ich ihnen beigebracht hatte. Woher sollte ich damals wissen, daß das dermaßen weh tut! Endlich, nach ein paar Stunden oder Tagen, verloren sie die Lust, mich weiter zu quälen, hatten Appetit auf einen Kaffee oder waren überzeugt, nichts Wichtiges übersehen zu haben.
    »Paß auf, Felix, wir flicken dich gleich wieder zusammen, wirst noch schöner als vorher. Wir gehen uns schon mal waschen – oder möchtest du, daß wir auch die Prämedikation machen?«
    Ein makabrer Scherz. Schlimm genug für einen Facharzt für innere Medizin, daß er sich für eine Operation in die Hände einer Gilde begeben muß, die sich in direkter Linie vom Fleischerhandwerk und den Feldscherern ableitet. Aber die medikamentöse Vorbereitung für das Schlachtfest, die Prämedikation, will man nun wirklich nicht den Chirurgen überlassen. Dazu gibt es Anästhesisten. Doch gleich im nächsten Moment hätte ich den Freunden von der Chirurgie eine Million für die Durchführung der Prämedikation geboten. Kaum waren sie verschwunden, um sich zu waschen und ihre Folterwerkzeuge zu sortieren, schob sich grinsend ein feistes Gesicht in mein eingeschränktes Blickfeld.
    »Na, dann wollen wir mal dafür sorgen, daß du schön einschläfst.«
    Seelenruhig zog Kollege Valenta seine Spritzen auf. Kollege Valenta mit dem Ferienhaus in der märkischen Schweiz und dem geheimnisvollen Alibi für Schwester Renate. Hatte ich den Anschlag der Geschwister überlebt, den Flug im Hubschrauber, die Quälereien der Chirurgen, nur daß mein Schicksal mich jetzt in Form eines von Börsengeschäften ruinierten Intensivarztes erwischte? Was hatte Valenta überhaupt hier zu schaffen? Ich versuchte es mit dem rationalen Zugang.
    »Ist Prämedikation nicht was für die Anästhesisten? Wo sind überhaupt alle?« Dann, in einem Geistesblitz, spielte ich meinen letzten Trumpf aus.
    »Es hat keinen Zweck, mich umzubringen. Celine weiß über alles Bescheid!«
    Valenta würdigte mich keiner Antwort. Unter anderem deshalb, weil er mich gar nicht hören konnte, steckte doch unverändert dieser Tubus in meiner Luftröhre. Niemand konnte mich hören. Mit einer letzten Kraftanstrengung versuchte ich, mich aufzurichten, aber Valenta drückte mich sofort wieder nieder. Was würde er mir spritzen? Einfach eine Überdosis von dem Zeug, das wir vor Eingriffen zur Beruhigung geben? Oder zu viel Succinyl, was dazu dient, die Muskulatur für die Operation zu entspannen, in ausreichender Dosis aber auch die Atemmuskulatur lähmt? Oder etwas Exotisches, zum Beispiel Tumor-Nekrosefaktor? Dann würde ich im Kreislaufschock sterben, niemand würde sich übermäßig wundern. Kreislaufschock nach Polytrauma, nicht ungewöhnlich. Auch die Kollegen im Labor würden verständig nicken und wahrscheinlich in einer wissenschaftlichen Zeitschrift ihre tolle Beobachtung publizieren, wie stark nach einem Unfall in der märkischen Schweiz der Tumor-Nekrosefaktor erhöht sein

Weitere Kostenlose Bücher