Denn wer zuletzt stirbt
kann.
Gerade als Valenta an meinem intravenösen Zugang fummelte, um mir seinen Cocktail zu verabreichen, öffnete sich die Tür und Bernd von der Anästhesie kam herein. Ich war gerettet!
War ich nicht. In aller Ruhe schob mir Valenta trotzdem seine Mischung in die obere Hohlvene. Und wiederum fielen mir keine originellen letzten Worte ein!
Wenn der Himmel weiß gestrichen ist und die Engel dort in weißen, blauen oder grünen Klamotten durch die Gegend wetzen, dann war ich wider Erwarten im Himmel gelandet. Für die Hölle war es jedenfalls nicht biblisch heiß oder dantisch kalt genug. Eine ziemliche Enttäuschung nur, daß ich auch im Himmel noch Schmerzen hatte, besonders im rechten Bein. Und außerdem habe ich mir Engel hübscher vorgestellt.
Der Monitor neben meinem Bett verriet mir, wo ich war: auf der sogenannten Aufwachstation, dem chirurgischen Pendant zu unserer internistischen Intensivstation, diente sie doch schon lange nicht mehr allein dem Aufwachen nach Operationen, sondern der Behandlung schwerkranker chirurgischer Fälle.
Die Kollegen hatten gar nicht so lange an mir herumoperiert, erzählten sie mir später, nur gute zwei Stunden. Das meiste seien mehr oder weniger tiefe Schnittwunden gewesen, nur der offene Bruch meines rechten Unterschenkels mußte richtig mit Platte und Schrauben versorgt werden.
Als sie mit dem Operieren fertig waren, schoben sie mich zur Sicherheit doch noch durch den inzwischen freien oder fertig gewarteten Computertomographen, fanden aber keine inneren Verletzungen, mal abgesehen vom behandelten Totalkollaps meiner rechten Lunge und dem Teilkollaps der linken. Deshalb hatte ich auf jeder Seite einen dicken Schlauch zwischen den Rippen, beide hatte mir Ulf Vogel schon auf dem Maisfeld kurz vor Buckow gelegt. Ulf war auch der erste, der mich noch in der Nacht auf der Aufwachstation besuchte.
»Du siehst ja immer noch ziemlich beschissen aus!« Wenigstens hatte man mich inzwischen von diesem Tubus in der Luftröhre befreit, so daß ich schon wieder etwas krächzen konnte.
»Ich danke dir, Ulf. Nicht jeder hätte den Lungenkollaps so schnell erkannt.«
»Keine Ursache. Du sahst einfach ein bißchen zu blau aus für nur zu kalt.«
Ich habe es bereits an anderer Stelle erwähnt: Ich möchte nie im Tiefschlaf von Dr. Vogel erwischt werden, aus Furcht, daß er mir zur Sicherheit erst einmal dreihundert Watt aus seinem Defibrillator überbrät oder mir mit einer prophylaktischen Herzmassage die Rippen bricht. Aber bei wirklicher Gefahr für Leib und Leben kann man sich keinen besseren Notarzt wünschen.
Ulf nahm auf dem Bett Platz, erstaunlicherweise, ohne sich dabei auf mein frisch zusammengeschraubtes Bein zu setzen.
»Was ist eigentlich passiert? Wie bist du auf dieses hübsche Maisfeld gekommen?«
»Es war glatt, und ich war zu schnell, zumal für Sommerreifen.
Das war nicht gelogen, wenn auch nur ein Teil der Geschichte. Zu dem anderen Teil mußte ich mir erst noch ein paar Gedanken machen.
»Immerhin, du hast Glück gehabt. Mehr als die anderen jedenfalls.«
»Die anderen?«
»Ja – eine Frau im BMW und ein Mann im Geländewagen, beide tot. Verbrannt.«
Margitta und Manfred, beide tot! Jetzt, wo ich außer Gefahr war, machte mich das nicht besonders froh. Sie hatten, meinte Ulf, den Abflug von der Straße mit Airbags, Seitenaufprallschutz und versteifter Fahrgastzelle sicher weit besser überstanden als ich. Ihr Pech sei gewesen, daß sich ihre Wagen ineinander verkeilt hätten, in Höhe der Türen. Beide hatten keine Chance gehabt, herauszukommen. Dann habe der Jeep Feuer gefangen, und ziemlich schnell hatte das Feuer auf den BMW übergegriffen.
Vor meinen Augen wiederholte sich die Szene, wie Manfred mit schneller Fahrt hinter mir aufholte und mich fast schon erreicht hatte, als ich aus der Kurve flog. Wahrscheinlich hatte er nicht mehr rechtzeitig abbremsen können und war voll in seine Schwester gerauscht. Das geschah ihm recht, aber hilflos im Wagen zu verbrennen hatte ich beiden nicht gewünscht. Ob wenigstens seine Rolex überlebt hatte?
Ulf erhob sich.
»Jetzt schlaf dich richtig aus, Felix. Morgen schaffen wir dich zu uns auf die Intensivstation, eh die Gasaffen noch Unfug mit dir anstellen.«
»Auf keinen Fall!«
Im Sprachgebrauch der Internisten laufen Anästhesisten unter Gasaffen, als Ärzte mit viel Ahnung in Medizintechnik, aber im Vergleich zu uns von begrenztem Durchblick für das komplizierte Zusammenspiel im menschlichen Körper.
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