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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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schließlich auch die Namen geeigneter Patienten, sowohl aus der Hauspflege wie auch aus der Klinik. Manchmal gab ich Namen und Adresse auch direkt an ihren Bruder. Mehr war da nicht, und es hatte absolut nichts damit zu tun, daß ich einigen Patienten beim ersehnten Sterben geholfen habe.«
    Irgendwann war ich einmal bei Käthe gewesen, ich glaube, zum Geburtstag. Ich erinnere mich an eine kleine Wohnung in der Nähe der Klinik mit einer Standardmöblierung im Stil der fünfziger Jahre, wahrscheinlich von den Eltern übernommen.
    »Einmal hat mir Margittas Bruder zu Weihnachten so einen Präsentkorb geschickt, aber das war auch alles, Dr. Hoffmann.«
    »Wie sind Sie eigentlich zum Hauspflegedienst Süd gekommen?«
    »Margitta sprach mich eines Tages an, ob ich aushelfen könne, als eine ihrer Mitarbeiterinnen plötzlich krank geworden war. Und da fand ich heraus, daß mich dreimal in der Woche abends Hauskrankenpflege mehr befriedigte als ein Feierabend allein vor dem Fernsehapparat. Aber schon bald habe ich gesehen, welche Menschen mir da zur Pflege anvertraut waren. Nun sah ich dieses Leid verdoppelt, tagsüber in der Klinik, und dreimal die Woche in der Hauspflege. Und mir wurde klar, daß niemand diesen armen Menschen helfen würde, wenn ich es nicht tat.«
    Ich stand auf und schaute über den Hof auf den Altbau, meine Geriatrie. Wie viele meiner Patienten wünschten, daß ich ihrem Leben endlich ein Ende machte? Hatte Käthe mehr Mut bewiesen als ich?
    »Aber letztendlich, Käthe, haben Sie entschieden, wer weiter leben darf und wer nicht.«
    »Das habe ich nicht. Doktor, Sie machen im sauberen weißen Kittel Ihre Visite, verordnen ein paar mehr Einheiten Insulin, wenn der Blutzucker ansteigt, oder ein Antibiotikum, wenn sich Fieber einstellt. Sie beschäftigen sich mit den Nieren der Patienten, ihrer Leber oder ihren Herzkranzgefäßen. Aber es sind wir Schwestern, die das Leid dieser Menschen wirklich erleben, die sie ein paarmal am Tag aus ihren Exkrementen herausholen, sie füttern, die Nächte mit ihnen und ihren Ängsten verbringen.«
    »Ich glaube nicht, daß ich meine Patienten nur als Summe ihrer Organe und deren Funktion sehe.«
    »Das tun Sie nicht, Doktor, das weiß ich. Aber trotzdem sind Sie in Ihrem Medizinerdenken gefangen, in dem es um Prognose und Lebenserwartung geht, kaum jedoch um Lebensqualität. Ich behaupte nicht, daß ich einen besseren Kontakt zu unseren Patienten als Sie habe. Er ist nur verschieden von Ihrem, spielt sich auf einer anderen Ebene ab.«
    Ich erinnerte Schwester Käthe an Fälle, in denen wir sehr wohl gemeinsam beschlossen hatten, die Therapie einzustellen.
    »Ich erinnere mich auch an diese Fälle. Aber da ging es immer um Patienten, die nicht mehr ansprechbar waren oder jedenfalls nicht mehr Herr ihrer Sinne. Aber wir sprechen jetzt von Patienten bei vollem Bewußtsein, die ihr Weiterleben nur noch als Qual empfinden. Deshalb stimmt es eben nicht, daß ich alleine entschieden hätte. Diese Menschen haben mich immer wieder gebeten, ihnen beim Sterben zu helfen, und ich habe mit ihnen gemeinsam diesen Weg überlegt und dann gelegentlich auch mit ihnen gemeinsam beschritten. Das ist nicht leicht, das wissen Sie. Denken Sie nur an Ihre Tante – hat die Sie nicht auch gebeten, ihr den Tod zu schenken?«
    Käthe hatte recht. Natürlich war es bei Tante Hilde einfacher gewesen, mich um ihren Blutdruck oder ihr Herz zu kümmern als um ihren Wunsch, von einem für sie sinnlosen Leben erlöst zu werden. Plötzlich hatte ich das Gefühl, mich verteidigen zu müssen.
    »Vielleicht tue ich mich einfach schwerer damit, den Tod meiner Patienten zu akzeptieren.«
    »Wenn Sie den Tod verhindern, dessen Zeit eigentlich gekommen ist und der sehnlich erwartet wird, machen Sie sich dann nicht erst recht zum Herren über Leben und Tod oder versuchen es jedenfalls? Vielleicht haben Sie selbst einfach mehr Angst vor dem Sterben als ich.«

17

    Wenn es etwas gab, was ich als Krankenhauspatient und später als gipsbeiniger Stationsarzt auf Krücken nicht vermißt hatte, waren das die Nachtdienste. Spätestens jenseits der vierzig steckt man die Abfolge Krankenhaustag-Nachtdienst-Krankenhaustag nicht mehr so locker weg wie früher. Vielleicht hätte ich mich mit dem Hinweis auf immerhin noch eine Krücke ein paar Wochen länger drücken können, wußte aber aus eigener Erfahrung, wie ärgerlich es ist, zusätzlich zu den eigenen Nachtdiensten noch die von kranken Kollegen oder Kollegen im

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