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Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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die hochdosierte Schmerztherapie und den Sauerstoff über die Nasensonde.
    Es war, glaube ich, als es zum drittenmal notwendig geworden war, ihm den Erguß aus dem Rippenfell abzupunktieren, daß er mich auf seine Wohnung ansprach. Wie immer mußte ich, wenn er jetzt mit mir sprechen wollte, ihm erst den Schleim aus der Luftröhre absaugen, was ihn wiederum so schwächte, daß seine Stimme kaum zu verstehen war.
    »Suchen Sie noch immer eine größere Wohnung, Dr. Hoffmann?«
    »Ja. Ich hatte zuletzt wenig Zeit, mich darum zu kümmern.«
    »Wissen Sie, ich habe eine sehr schöne Wohnung. Eine Eigentumswohnung, direkt an der Rehwiese. Ein wunderbarer Ausblick.«
    Das war mir bekannt. Wie der schöne Wintergarten, die Abwesenheit schreiender Kinder, die sonnige Terrasse.
    »Die wird ja nun frei, hoffentlich bald«, ein Hustenanfall unterbrach ihn, dann fuhr er fort.
    »Wollen Sie nicht dort einziehen?«
    »Ein reizvoller Gedanke, muß ich zugeben. Aber die Wohnung gehört zu Ihrem Erbe, Herr Winter, und damit unserer Stiftung.«
    Durch die schwere Krankheit hindurch blitzte ein Funken Gewitztheit in seinen Augen auf.
    »Nicht, wenn ich Sie Ihnen vorher verkaufe.«
    »Stimmt. Kann ich mir aber nicht leisten.«
    »Können Sie schon, wenn Sie mir so viel geben, wie ich damals bezahlt habe.«
    »Wann war das?«
    »1963. Nach dem Mauerbau waren die Immobilienpreise in Berlin im Keller. Damals habe ich so um die hundertfünfzigtausend Mark bezahlt. Fünfundsiebzigtausend Euro gibt Ihnen jede Bank Kredit für diese Wohnung.«
    Natürlich war die Wohnung inzwischen fast das Zehnfache wert, das Angebot verlockend. Aber ich konnte es nicht annehmen. Eine Weile saß ich stumm an Winters Bett, unfähig, ihn einfach so in seinem Sterben alleine zu lassen. Ich bin heute noch nicht sicher, ob das, was Winter mich dann fragte, der eigentliche Grund für das Angebot seiner Wohnung war.
    »Noch eine Frage, Dr. Hoffmann. Was würde eigentlich geschehen, wenn diese Schmerzinfusion einmal zu schnell läuft? Ich meine, wäre das gefährlich?«
    »Wieso fragen Sie? Reicht die Dosierung nicht mehr aus?« Lange schaute mich Winter aus seinen inzwischen deutlich vom fortschreitenden Verfall gezeichneten Augen an.
    »Für die Schmerzen ..., für die Schmerzen reicht sie schon, Felix.«
    Am liebsten hätte ich ihm gesagt, ich wünschte, er hätte mir das Angebot mit der Wohnung nicht gemacht. Aber warum sollte ich mit diesem Hinweis sein Leid vergrößern? Natürlich würde die Schmerzinfusion mit ihrem hohen Morphinanteil bei entsprechend hoher Dosierung zum Tod durch Atemlähmung führen, mit dem Vorteil, daß wegen des Morphins der Patient nichts von der Atemlähmung mitbekommt. Das Problem für Winter war allerdings, daß er in seinem Zustand die Schaltung für die Infusionspumpe nicht mehr erreichen konnte.
    »Ich glaube, ich verstehe was Sie meinen, Herr Winter. Aber Sie wissen, daß es da ein Problem gibt, oder?«
    Er nickte. Nur, was blieb ihm anderes übrig?

    Bei der Visite am nächsten Tag stand die Frage, ob ich mir seine Bitte überlegt habe, deutlich in seinen Augen, doch er sprach mich nicht darauf an. Jedenfalls nicht direkt. Aber er bedeutete mir, daß er mit mir sprechen wollte, also saugte ich ihn wieder ab.
    »Glauben Sie an Gott, Felix?«
    Er war bei Felix geblieben. Glaubte dieser Felix an Gott? Wenn es einen Gott gäbe, warum gibt es dann Flugzeugabstürze und Hungerkatastrophen? Und warum hatte dann Trixi gestern wieder in mein Bett gepinkelt, als ich vergessen hatte, die Tür zum Schlafzimmer zu verschließen?
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich.
    »Ich habe Schwierigkeiten, an Gott zu glauben. Aber ebenso, nicht an Gott zu glauben.«
    »In Ihrem Alter gab es nur einen Gott für mich. Den Fortschritt. Und mich, den Ingenieur, als seinen Propheten. Wir flogen auf den Mond, bald würden wir auch den Mars erobern. Neue Pflanzen und intelligenter Dünger würden den Hunger auf der Welt besiegen, die Krankheiten würden wir in ein paar Jahren ausgerottet haben. Alles war möglich, wozu brauchten wir noch einen Gott? Aber jetzt, kurz bevor ich erfahren werde, ob es ihn nun gibt oder nicht, scheint es sicherer, lieber doch von seiner Existenz auszugehen. Kinder glauben an Gott, weil man es ihnen beibringt, und es ihnen hilft, eine sonst unerklärliche Welt zu akzeptieren. Wir alten Menschen wiederum wollen nicht glauben, daß das wirklich alles gewesen sein soll. All die vergebenen Chancen, die gebrochenen Versprechen ... Gott

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