Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Denn wer zuletzt stirbt

Denn wer zuletzt stirbt

Titel: Denn wer zuletzt stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
Vom Netzwerk:
bedeutet eine Reise in den Himmel oder in die Hölle, jedenfalls aber eine zweite Chance.«
    Auch ich finde es tröstlich, an eine zweite Chance zu glauben. In Winters Welt hieß das allerdings, daß, gäbe es keinen Gott, es auch keine zweite Chance gab. Zu meinem Erstaunen fuhr Winter trotz seiner Schwäche fort. Das Thema schien ihm wichtig.
    »Wollen Sie wissen, Felix, wie ich mir Gott vorstelle? Er muß inzwischen ein ziemlich alter Herr sein, richtig? Also stelle ich ihn mir ein bißchen wie uns hier vor, ihre Patienten auf der Chronikerabteilung: ein alter Mann mit bekleckertem Bademantel und dürren Stoppelbeinen. Ein trauriger alter Mann, der erkennt, daß er schlampig gearbeitet hat. Ein perfektes Universum hat er erschaffen, jedes Quark und jeder Quant ist an seinem Platz. Und trotzdem, da gibt es diese Menschen. Die bringen eben mal sechs Millionen Juden um oder zwei Millionen Kambodschaner oder eine Million Tutsi. Wie viele Menschen hat er eigentlich, fragt sich Gott, damals bei der Sintflut draufgehen lassen? Und warum mußten eigentlich auch all die Tiere sterben? Er weiß es nicht mehr so genau, es ist schon so lange her. Er weiß nur, er hat einen Fehler gemacht mit den Menschen. Sie sind ihm zu ähnlich geraten.«
    Herbert Winter starb in dieser Nacht gegen zwei Uhr morgens, in meinem Nachtdienst. Gegen ein Uhr hatte ich noch einmal bei ihm vorbeigeschaut, total erschöpft schien sein Körper endlich Schlaf gefunden zu haben. Als ich am Morgen seinen Totenschein ausfüllte, überlegte ich, daß Winter inzwischen wußte, ob es einen Gott gibt. Was würde dieser Gott von meinem Tun halten? Wäre er sauer, daß ich ihm ins Handwerk gepfuscht hatte? Oder war ich in der vergangenen Nacht sein Werkzeug gewesen?
    Ich machte mich schon am frühen Nachmittag auf den Heimweg. Nach einem ersten Feierabendbier rief ich Schwester Käthe an und fragte, wann sie wieder zur Arbeit käme.
    »Möchten Sie das wirklich, Dr. Hoffmann?«
    »Ja. Und ich freue mich darauf.«

    Der nächste Tag brachte das Versprechen eines baldigen Frühlings. Vor der Morgenrunde mit Trixi schaute ich zur Klärung der Frage dicker oder dünner Pullover, Regenjacke oder nicht aus dem Fenster. Ich sah zwar kein blaues Band durch die Lüfte schweben, aber die Luft war über Nacht eindeutig mit einem Weichspüler behandelt worden.
    Noch etwas war anders als sonst, jedoch brauchte ich einen Moment, um herauszufinden, was mich irritierte: eine unnatürliche Stille. Zwar wohnen Celine und ich in einer Siedlung, die nur durch kleine Stichstraßen erschlossen wird, also ohnehin ziemlich ruhig, doch heute morgen fehlten auch die üblichen Geräusche – meine Leidensgenossen, die noch eben vor der Arbeit den Hund ausführten, die bürgerlichen Alkis, die schnell die Flaschen im Container verschwinden ließen, die Autotüren der Nachbarn mit frühem Dienstbeginn. Was war los?
    Ich schaute hinüber zu Celines Wohnung und nahm aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr, eine weitere Bewegung auf der anderen Straßenseite. War der dritte Weltkrieg doch noch ausgebrochen? Schwerbewaffnete Männer mit schußsicheren Westen und geschwärzten Gesichtern verteilten sich, Stahlhelm auf dem Kopf und Maschinenpistole im Anschlag, in meiner Straße. Klar, man hatte die wahre Todesursache von Herrn Winter entdeckt und würde mich nun verhaften, mit einem etwas übermäßigen Aufwand allerdings.
    Aber die Männer, die mich mit ihrem Schleichgang und den Handzeichen an die Abenteuerspiele meiner Jugend erinnerten, sammelten sich links und rechts von Celines Hauseingang. Ich stürzte zum Telefon und drückte die eins, unter der Celines Nummer gespeichert ist. Es schien eine halbe Ewigkeit, bis sich ihre schlaftrunkene Stimme endlich meldete. Ich schrie in die Muschel.
    »Sie haben Sedat gefunden! Sie sind schon vor deiner Tür!« Durch das Telefon hörte ich, wie die Wohnungstür aufgebrochen wurde, dann Poltern und allgemeines Geschrei. Gleichzeitig meldete sich auf der Straße ein Lautsprecher.
    »Dies ist ein Polizeieinsatz. Bitte bleiben Sie in Ihrer Wohnung, und warten Sie weitere Hinweise ab.«
    An meinem Bein drängelte Trixi, sie hatte die Durchsage wohl nicht verstanden. Was konnte ich tun? Meinen gefährlichen Kampfhund auf die Polizei hetzen? Mir ein heroisches Duell mit der Staatsmacht liefern? Wenigstens, fiel mir ein, sollte ich Celines Mitstreiter alarmieren, wußte aber nur von Beate, daß sie in diesem Verein mitmachte. Ich erwischte sie über ihr

Weitere Kostenlose Bücher