Depeche Mode
was, was sitzt du rum und schweigst, uns interessiert das doch, los, erzähl uns was, oh – erzähl uns eine deiner Weibergeschichten, alle lachen, ja, rufen sie, los, Kakao, eine Weibergeschichte. Kakao geniert sich, er fühlt sich doch ein bißchen unsicher, sie sind eine Gruppe und er einfach nur ihr Gast, er will aber nicht weg hier, deswegen überlegt er, was er erzählen könnte, eine Weibergeschichte. Weiber. Weiber sieht er vor allem im Fernsehen. Vielleicht sollte er vom Fernsehen erzählen.
Da kommt ein Typ von der Verwaltung angerannt, Schluß, – ruft er, – hopp, hopp, schnell, es geht los, und sie rappeln sich hoch und schleppen sich raus auf den Flur, gehen im Gänsemarsch, einer hinter dem anderen, kauen ihr Brot zu Ende, rauchen ihre Zigaretten auf, Kakao trabt hinterher, durch irgendwelche Abstellräume, überall Agitationsschilder, an den Wänden Feuerlöscher, endlich gelangen sie ans Tageslicht, jemand dreht sich zu Kakao um und sagt – he, Kumpel, warte hier auf uns, okay? Wir brauchen nicht lange. Wie lange denn? – fragt Kakao, ein paar Stunden, vielleicht ein bißchen länger, – setz dich da an die Wand und warte. Darf ich vielleicht zuhören? – fragt Kakao, klar, – sagt jemand, – hör ruhig zu, aber im Prinzip ist es nichts Besonderes – absoluter Scheißkram. Kakao bleibt nichts anderes übrig, als ihnen aufs Wort zu glauben.
Der Saal ist proppenvoll, über zweitausend Menschen haben sich versammelt, die Zuspätgekommenen stehen in den Gängen, drängeln sich vor der Bühne, ein scheiß Publikum – Studenten, Rentner, Militärs, Invaliden, besonders viele Invaliden, das ist verständlich, aber auch biznesmeny in grellen Anzügen sind da, und so weiter und so fort. Als sie die Bühne betreten, explodiert der Saal, die Invaliden brüllen irgendwelche Mantras, man winkt ihnen zu, lächelt, sogar ein paar Blumensträuße fliegen auf die Bühne, sie nehmen ohne Eile ihre Instrumente, schließen sie an, einer gibt den Tonleuten ein Zeichen, mehr Saft bitte, ein anderer macht eine Flasche Mineralwasser auf, das Volk skandiert weiter, veranstaltet ein kleines Fest, sie aber lassen sich nicht wirklich davon anstecken, alle wissen, was Sache ist und wer der wahre Boss und wo es drauf rausläuft, und als die Invaliden so richtig in Fahrt kommen und Chorgesänge anstimmen, ohne daß sie jemand richtig beachtet, erscheint er –
10.00
Hochwürden Johnson-und-Johnson, Sonne am verdüsterten Firmament des neuen amerikanischen Predigertums, stärkster Publikumsmagnet der Westküste, Führer der Kirche Jesu (vereinigt), Popstar, der allen, die es wünschen, das Gehirn wäscht an diesem regnerischen Sommermorgen mitten in der Woche, Hochwürden Johnson-und-Johnson scheißt auf Konventionen, er ist ja nicht irgend so ein Altgläubiger, der seine Gottesdienste nur am Wochenende zelebriert, das ist doch Scheiße, sagt er, altgläubige Scheiße, und alle geben ihm recht. Er ist vor ein paar Wochen in die Stadt gekommen, so steht es zumindest in der Presseerklärung, die am Eingang verteilt wird, hat für einen Monat im voraus den Kino- und Konzertsaal gemietet, Musiker angeheuert und rackert sich nun schon seit vier Tagen ab, predigt den Eingeborenen Gottes Wort, von Mal zu Mal werden es mehr Eingeborene, Hochwürdens Agenten arbeiten phantastisch, schon einen Monat vor seiner Ankunft haben die Lokalzeitungen angefangen, über diese Ankunft zu schreiben, Postkarten mit seinem grinsenden amerikanischen Arschgesicht wurden in Fabriken, auf Märkten und Banken verteilt, bereits am Tag nach seiner Ankunft gab er dem populärsten TV-Sender der Stadt ein Interview und sprach dabei zur großen Verwunderung des Publikums sogar mehr oder weniger passabel die Staatssprache, wodurch er aus dem Stand einen Volltreffer landete, hat angeblich hiesige Wurzeln, ist ansonsten aber ein WASP, also ein hundertprozentiger Weißer aus Texas, kein Wunder, daß die ganze Stadt über Hochwürden spricht, während seiner ersten Predigt gab es im Saal mehrere Kameras, jeder Sender, der was auf sich hielt, meldete, daß die erste Predigt von Hochwürden Johnson-und-Johnson, von der die Bolschewisten schon so lange sprechen, stattgefunden hat, obercool, liebe Charkiwer, das müssen Sie einfach gesehen haben, um so mehr als der Eintritt für lau ist plus man kriegt noch einen kostenlosen Kalender mit Hochwürdens Visage drauf, Gottesdienste bis Ende Juni täglich um zehn, dreizehn und siebzehn Uhr.
Nun schert er
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