Depeche Mode
gegeben, alles berechnet, Umfragen durchgeführt, – Tschapaj holt irgendwelche Hefte heraus und wedelt damit in der Luft herum, – es hat sich gezeigt, daß die vorhandene Infrastruktur, die gesamte gegenwärtige Kapitalbasis sich selbst noch mindestens die nächsten siebenundsechzig Jahre ernähren kann.
– Und dann?
– Was dann? – fragt Tschapaj irritiert. – Dann läßt man sich was einfallen. Die Theorie ist im Prinzip neu, nicht in der Praxis getestet, vielleicht gibt es noch ein paar Korrekturen. Aber insgesamt, – wiederholt er, – braucht man überhaupt keine Gedanken an die Steigerung der Produktion zu verschwenden, im Gegenteil – es ist notwendig, die Produktion maximal zu reduzieren, stillzulegen sozusagen, und die natürlichen Ressourcen maximal sparsam zu verwenden, weil das, was schon vorhanden ist, für die nächsten siebenundsechzig Jahre reicht.
– Cool, – sage ich. – Mir hat besonders gut das mit den Einkaufszentren gefallen. Und mit den landwirtschaftlichen Betrieben, – sage ich zu Dog.
– Ja, – stimmt Tschapaj zu, – das ist eine sehr richtige Idee. Und vor allem gerecht, ohne kapitalistischen Nepp.
– Moment, – sage ich, – wie wird denn deine PeCh das alles kontrollieren, es gibt doch einen Haufen Sachen, die trotzdem zentral geregelt sein müssen.
– Was denn zum Beispiel? – fragt Tschapaj.
– Weiß nicht genau. Öffentlicher Verkehr. Die Metro.
– Was hat die Metro damit zu tun?
– Vielleicht nicht die Metro, – gebe ich nach. – Aber, sagen wir mal, Fluggesellschaften. Wie will deine PeCh sie kontrollieren?
– Es wird keine Fluggesellschaften geben.
– Wie? – wundere ich mich. – Und wie sollen die Leute dann fliegen?
– Warum sollen sie überhaupt fliegen? Welchen REALEN Nutzen bringt das? Du, zum Beispiel, – macht er Druck auf Dog, – bist du schon mal geflogen?
– Nee, – sagt Dog. – Ich nehm meistens die Straßenbahn.
– Siehste, – sagt Tschapaj. – So geht es den meisten. Fluggesellschaften, Flughäfen, Stewardessen – alles Fiktion. In Wirklichkeit gibt es keinen REALEN Bedarf daran, verstehst du? Wir behalten nur, was REAL gebraucht wird.
– Okay, – sage ich. – Und die Armee?
– Die Armee wird auch nicht REAL gebraucht. Was nützt uns die Armee? Die Armee existiert nur als Selbstzweck. Dazu werden ab und zu Kriege organisiert, Bombardements, Revolutionen, die Rüstungsindustrie boomt, wissenschaftlich-technisches Potential wird geschaffen, ein Propagandasystem. Aber einen REALEN Bedarf gibt es nicht, wenn man die Armee auflöst, wird die Gesellschaft weiterhin normal funktionieren, kapierst du, es gibt keinen BEDARF an ihr.
– Na gut, – sage ich wieder, – und was ist mit den Diensten?
– Was? – Tschapaj nimmt einen Schluck aus seinem blutigen Glas.
– Na, die inneren Dienste. Miliz, Polizei, KGB, CIA, keine Ahnung. Sind die etwa auch Fiktion?
– Ja, Fiktion.
– Der KGB ist Fiktion?
– Fiktion.
– Sicher?
– Absolut.
– Das gefällt mir, – sage ich.
– Du, zum Beispiel. – Tschapaj läßt Dog nicht in Ruhe, – hattest du schon mal was mit dem KGB zu tun?
– Ja, – antwortet Dog überraschend, – einmal, da war ich schon in der zehnten Klasse, kam ein KGB-Offizier zu uns in die Schule. Erzählte von seiner Arbeit, agitierte. Sagte was über den Präsidenten.
– Und?
– Nichts. Fand ich im Prinzip gut. Bin später im Korridor zu ihm gegangen, Chef, sag ich, würd mich gern bewerben. Er ließ mich voll abblitzen. Du riechst zu schlecht aus dem Mund, um beim KGB zu dienen. Das war’s.
– Siehst du, – sagt Tschapaj belehrend. – Alle staatlichen Strukturen sind AUSSCHLIESSLICH dazu da, um ihr eigenes Funktionieren zu sichern, sie produzieren nichts, bringen überhaupt keinen NUTZEN . Wenn der KGB morgen aufgelöst wird, ändert sich gar nichts. Es ändert sich auch nichts, wenn die Grenzen geschlossen oder geöffnet werden oder man alle Diplomaten entläßt – es geht auch ohne Außenpolitik. Ohne Innenpolitik im Prinzip auch. Es geht sogar ohne Machtmißbrauch und Behörden – mit ihnen verschwinden auch die Probleme, für deren Lösung sie geschaffen wurden. Man braucht keine Behörden, Ämter, Haus- oder sonstige Verwaltungen – folglich auch keine Archive und umgekehrt. Die AuS kontrollieren die gesamte minimale Produktion, die für ganze siebenundsechzig Jahre das Funktionieren der Gesellschaft sichert. Alles andere ist Teufelswerk, – sagt Tschapaj siegesbewußt
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