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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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ganze Woche lang gehört! Ich brauche neue Ohren, meine sind völlig im Eimer!«
    »Malcolm! Beruhige dich doch, es wird nicht so schlimm sein.«
    »Doch! Schlimm ist gar kein Ausdruck!«
    »Tob nur so weiter! Ich wußte nicht, daß du so gut brüllen kannst. Paß auf, ich kann noch umbesetzen, du kriegst die Hauptrolle in dem Film! Spaß beiseite, hast du wirklich nichts gefunden?«
    »Boof... zehn Stücke sind vielleicht recht gut.«
    »Dann komm gleich bei mir vorbei! Wir hören sie uns zusammen an, O. K.? Beeil dich!«
    David Lean, der weltberühmte Filmregisseur, hat keine Zeit mehr zu vergeuden. Denn schon in wenigen Tagen will er mit den Dreharbeiten für sein neues Meisterwerk beginnen. Alles ist bis ins kleinste Detail geregelt — es fehlt nur noch die Musik. Also nicht das Wichtigste, aber beinahe. In dem neuen Film soll die Musik nämlich eine wesentliche Rolle spielen. David Lean ist ein »Bildkomponist« — kein Meister. Aber er hat eine ganz genaue Vorstellung von dem, was er haben will: »Malcolm, es ist ganz einfach«, erklärte er seinem Freund, »ich brauche einen fröhlichen Militärmarsch, fröhlich und mitreißend, energisch, aber irgendwie auch... frech, weißt du? Und vor allem ganz einfach! Eine Melodie, die sich jeder sofort merken kann — einen Ohrwurm, tapfer und munter!«
     
    Die einfachste Sache der Welt, fürwahr! Malcolm Arnold kann ein Lied davon singen, als er mit seiner mageren Beute unterm Arm bei David erscheint:
    »Los, Malcolm, ich bin ganz Ohr! Leg gleich die erste Platte auf!«
    »Nein! Nein, nein! Viel zu pompös!«
    Malcolm schweigt und legt die nächste Platte auf:
    »Gut! Aber viel zu bekannt! Und auch nicht sehr britisch, findest du nicht?« Malcolm schweigt.
    »Tapfer und munter, Malcolm! Doch nicht so ein Trauermarsch!«
    Die vierte Musik ist zu kriegerisch, die fünfte zu idyllisch, die sechste zu exotisch, die siebte viel zu schnell, die achte zu kompliziert, die neunte nicht einfach genug und die letzte...
    »Schluß! Weg damit! Das ist ja der reinste Sirup!«
    »Ich hab’s dir gesagt. Besseres kann ich dir leider nicht bieten! So einen Marsch, wie du ihn haben willst, fröhlich, energisch, tapfer und munter, den gibt es einfach nicht, David!«
    »Dann komponiere eben einen bis morgen!«
    »Bis morgen, ja? Sonst noch einen Wunsch? Nein, David, danke. Mir reicht’s!«
    Zwei Tage später schlendern David und Malcolm durch das Filmgelände. Sie schauen beide ziemlich finster drein und reden kaum miteinander. Morgen beginnen die Dreharbeiten, und immer noch kein fröhlicher Marsch in Sicht! In einer riesigen Halle werden die letzten Vorbereitungen für die Innenaufnahmen getroffen. Schreiner und Maler, Ton- und Kameraleute, Hauptdarsteller und Statisten — Hunderte von Menschen laufen kreuz und quer durcheinander. Die typische hektische Atmosphäre kurz vor Drehbeginn. Es wird monatelang vorher gearbeitet und am Schluß fehlen doch immer zwei Stunden! In diesem wimmelnden Ameisenhaufen herrscht nicht gerade die beste Stimmung — doch einer wenigstens läßt sich seine gute Laune nicht verderben. Er pfeift lässig vor sich hin.
    Malcolm Arnold stößt David Lean mit dem Ellenbogen an: »Hast du gehört??«
    »Ja! Wer war es?«
    »Ich weiß nicht, bei dem Zirkus hier! Ich höre auch nichts mehr.«
    Es ist nichts mehr zu hören — nur noch Krach, Gebrüll und Getöse. Wie die meisten seiner berühmten Kollegen es auch gerne tun, wenn sie sich Gehör verschaffen wollen, bellt David Lean:
    »RU-HE!«
    Das wirkt! Keiner traut sich mehr, einen Mucks von sich zu geben.
    »Wer hat vorhin gepfiffen?«
    Alle schauen sich verstohlen an, stumm und still, mit großen unschuldigen Augen — so wie ertappte Schuljungen, die etwas ausgefressen haben und den Anführer nicht verraten wollen. Sie halten dicht! Darf man hier denn nicht einmal mehr pfeifen? Erst jetzt merkt der große Regisseur, wie feindselig seine Meute ihn ansieht, und er wird eine Spur freundlicher:
    »Mensch Kinder, ich beiße nicht! Ich freue mich ja, wenn ihr bei der Knochenarbeit hier noch pfeifen könnt! Wer war's nun?«
    Ein ziemlich alter Mann tritt verlegen aus den Reihen. Er ist von oben bis unten mit gelber Farbe vollgeschmiert und hält eine Bananenstaude aus Pappe im Arm.
    »Haben Sie gepfiffen?«
    »Ööh... ja, Mister Lean, entschuldigen Sie, Mister Lean.«
    »Sie brauchen sich deswegen nicht zu entschuldigen, alter Freund! Ach, stellen Sie diese scheußlichen Bananen hin und pfeifen Sie noch einmal.

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