Depesche aus dem Jenseits
Dasselbe Lied wie vorhin, ja?«
Der alte Bananenmaler wird rot wie eine Tomate. Es ist ihm sichtlich peinlich, auf einmal so im Mittelpunkt zu stehen. Alle glotzen ihn an. Am liebsten würde er im Boden versinken.
»Pfeifen Sie, pfeifen Sie!«
»Ööh, hier?«
»Ja!«
David Lean ist nicht Irgendwer. Wenn er um etwas bittet, so ist das ein Befehl. Also holt der alte Mann tief Luft und beginnt zu pfeifen, schüchtern, leise, dann immer lauter und fröhlicher, tapfer und munter.
»Danke, Alter, Ganz toll! Wie heißt es?«
»Ööh, keine Ahnung, Mister Lean...«
»Malcolm? Das ist doch ein Marsch, oder?«
»Ja, David, es ist ein Marsch.«
»Gibt’s auch einen Text dazu?«
»Nee, glaub’ ich nicht, das weiß ich nicht.«
»Woher kennen Sie die Melodie?«
»Ich kenn’ sie schon immer. Ich weiß nicht, woher. Als ich noch in Schottland lebte, da hab’ ich sie schon gepfiffen. Es ist eine Ewigkeit her.«
»Schottisch? Ja, es klingt irgendwie schottisch! Könnte schon sein. Pfeifen sie kurz nochmal.«
»Ganz leicht zu merken, genau das, was du wolltest. David!«
Kommen Sie mit mir, lieber Freund, wir beide müssen jetzt arbeiten!«
Der Komponist und der Bananenmaler ziehen sich Arm in Arm zurück und musizieren zusammen. Sie haben ihre Freude daran! Der alte Schotte pfeift und pfeift, bis ihm davon schwindlig wird, Malcolm kritzelt Note für Note auf einen Block und komponiert gleich ein paar Arrangements für die verschiedenen Instrumente dazu.
»Fertig! Fehlt nur noch der Titel! Wie nennen wir denn unser Werk?«
»Überleg nochmal, vielleicht fällt dir was ein? Irgendein Name? Hast du keine Ahnung, worum es in dem Lied ging?«
»Tut mir leid, Malcolm, da kann ich dir nicht helfen.«
»Na gut! Dann nennen wir es eben Brücke am Kwai.« Schon zwei Tage später ist der berühmteste Marsch der Filmgeschichte aufgenommen. Er wird die ganze Welt erobern. Komponist: Unbekannt!
Alec Guinness hatte keine Schwierigkeit, sich die Melodie einzuprägen. Er pfiff sie pausenlos, auch während der Dreharbeiten. So ein Ohrwurm geht einem nicht mehr so leicht aus dem Kopf, noch dazu wenn man ihn monatelang bei der ganzen Produktion pfeifen muß! Ob in den Studios, ob im Dschungel, immer marschierte Alec Guinness fröhlich, tapfer und munter — sehr britisch. Und die ganze Mannschaft — vom Regisseur bis zum Requisiteur — tanzte sozusagen nach seiner Pfeife!
Für David Lean war das Problem gelöst. Nicht aber für Malcolm Arnold!
Denn jetzt — und möglichst noch vor der weltweit angekündigten Filmpremiere — mußte er unbedingt den eigentlichen Komponisten ausfindig machen. Da verstehen die »Gesellschaften für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte« — in der Bundesrepublik kurz GEMA genannt — keinen Spaß.
Schließlich müssen die Autoren und die Komponisten auch etwas verdienen. Die Frage der Urheberrechte mußte also schnellstens geklärt werden.
Heute wäre das kein großes Problem. Aber damals – 1957 — arbeitete man noch nicht mit Computern, die kurz abgerufen werden und blitzschnell ihre in aller Welt eingespeicherten Daten am Terminal ausspucken. Nein, damals mußte man noch überall die Karteien durchwühlen.
Also macht sich Malcolm Arnold wie ein Kriminalist auf die Suche nach einem Mann, dessen Namen er nicht kennt, der irgendwann mal, irgendwo einen Marsch komponiert hat, dessen Titel er aber leider auch nicht kennt. Wo soll er nun anfangen? Am besten bei den schottischen Einheiten der britischen Armee.
Tonbänder mit dem fröhlichen Militärmarsch darf er aber nicht schicken — die Musik soll bis zur Premiere geheim gehalten werden. Also ruft er eine Kaserne nach der anderen an und pfeift die Melodie am Telefon. Meistens knallt man ihm den Hörer hin! Mit dieser Methode kommt er nicht weiter. Gut. Dann macht er sich eben selber auf die Reise. Erste Station: das britische Kriegsministerium. Er braucht unbedingt ein ganz offizielles Empfehlungsschreiben mit Unterschriften und Siegeln. Eine Art Sesam-öffne-dich, das ihm Eintritt in die Kasernen verschafft. Damit bewaffnet besucht er nun die Schotten und pfeift überall die Brücke am Kwai vor den stramm stehenden Regimentern. Doch nach jeder Vorstellung bekommt er immer dieselbe Antwort: »Nie gehört!«
Nach einigen Wochen, endlich! — glaubt ein grimmiger Oberst sich vage zu erinnern:
»Ja, das habe ich schon mal gehört. Aber weiß der Teufel wann und wo das war?«
Am Abend hockt Malcolm in
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