Depesche aus dem Jenseits
Welt steht irgendwo der Name Franck Ricketts.
Der Colonel, der in seiner Freizeit gerne Soldatenlieder und Militärmärsche komponierte, hatte seine Werke immer mit einem Pseudonym gemeldet: Kenneth J. Alford! Er wollte mit seinem Hobby in den Reihen Seiner Majestät nicht auffallen. Seit 1923 wurden dem Komponisten Alford keine Tantiemen mehr ausgeschüttet. 1957, nur weil ihr Großvater mal so arrogant gewesen war, daß er mit drei kleinen energischen Pfiffen aus einem englischen Golfclub in Indien »rausgeschmissen« werden mußte, freuten sich die Enkel.
Und deren Enkel freuen sich heute noch. Denn seit dreißig Jahren fließen die Millionen.
Eiffelturm zu verkaufen
Paris, 6. Juli 1925. Victor Lustig, ein reicher Amerikaner deutscher Abstammung, sitzt in seiner Luxussuite im Hotel Grillon und blättert mißmutig in der Zeitung. Victor Lustig ist ein ausgesprochen schöner Mann — das kann man nicht leugnen. Und er weiß es selbstverständlich auch. Mit seinen fünfundvierzig Jahren wirkt er verführerischer als je zuvor. Hochgewachsen, unwiderstehliche graue Schläfen, elegante Erscheinung mit leicht aristokratischem Einschlag — eben so, wie man sich einen Gentleman vorstellt. Im Moment sieht er allerdings mürrisch aus und flucht vor sich hin:
»Verdammt nochmal! Diese blöde Kuh gestern abend, die hat mich ganz schön reingelegt! Alles für die Katz’!«
Ja, wenn Monsieur »Loustigue« allein und unbeobachtet ist, befleißigt er sich nicht immer der feinsten Ausdrucksweise, besonders dann nicht, wenn ihm das Wasser bis zum Halse steht. Und im Augenblick sitzt er wirklich in der Patsche. Schon seit drei Tagen huscht er an der Rezeption vorbei, aber heute morgen, als der Page ihm das Frühstückstablett ans Bett brachte, reichte er ihm nicht nur, wie jeden Tag, die Zeitung — sondern auch die Hotelrechnung. Diskret, versteht sich, aber doch ein unmißverständlicher Wink der Direktion.
Was nun? Lustig muß sich etwas einfallen lassen. Und zwar schnell. Vor drei Wochen hatte er den Atlantik überquert, um sich genußvoll den Freuden des Pariser Lebens hinzugeben: Theaterbesuche, Kabaretts, kulinarische Extravaganzen mit reizender, aber leider auch entsprechend verwöhnter Damenbegleitung. Das kostet Geld. Sehr viel Geld. So viel, daß er nun ohne einen Sou in der Tasche dasteht.
Die horrende Hotelrechnung ist zwar eine unangenehme Sache, aber Monsieur Lustig macht sich deswegen kein Kopfzerbrechen. Solche Probleme pflegt er unauffällig zu lösen. Die eigentliche Frage ist vielmehr die Rückreise nach Amerika!
Wie soll er jetzt die Überfahrt bezahlen? Er muß sich das Geld auf irgendeine Weise beschaffen — wenn es nicht anders geht, muß er sich’s sogar verdienen. Deshalb studiert er aufmerksam die Zeitung. Doch die Stellenangebote würdigt er keines Blickes. Die interessieren ihn nicht, Fachleute seiner Art werden kaum gesucht, und schon gar nicht per Zeitungsinserat! Victor Lustig hat nämlich einen ausgefallenen Beruf: Er ist Hochstapler. Aber kein gewöhnlicher. Was er jetzt braucht ist eine zündende Idee, einen genialen Einfall. Davon lebt er nun schon seit fünfundzwanzig Jahren.
Wenn er seinen dunklen Machenschaften so lange Zeit ungestraft nachgehen konnte, dann verdankt er das der brillanten Methode, die er immer anwendet. Ergeht stets nach ein und demselben Prinzip vor: Er bringt seine Opfer in so lächerliche und entwürdigende Situationen, daß sie von einer Anzeige bei der Polizei absehen müssen, wenn sie sich nicht dem Gespött der Öffentlichkeit aussetzen wollen! Ein Erpresser ist er aber nicht. Mit so etwas gibt er sich nicht ab. Auch als Gauner hat man schließlich seinen Stolz und hält sich an seine Berufsmoral.
Der Frühstückskaffee ist längst kalt geworden und die Toastscheiben hart wie Stein. Heute morgen hat der
Gentleman in der Suite 14 im Hotel Grillon überhaupt keinen Appetit. Nach einem flüchtigen Blick auf die Hotelrechnung hat er sie zornig in eine Ecke geworfen und sich dann in die Lektüre der Zeitung vertieft. Nun blättert er eine Seite nach der anderen um, überlegt zwischendurch, liest weiter, geht im Zimmer auf und ab, schnappt sich wieder die Zeitung, und siehe da — auf einmal entdeckt er, unten links auf der dritten Seite, einen kurzen Artikel in der Rubrik »Stadtgespräche«. Neben einer Karikatur steht geschrieben: »Wird Paris in der Lage sein, die notwendigen Reparaturen am Eiffelturm zu finanzieren?« Es folgen einige
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