Depesche aus dem Jenseits
einem Pub in der Nähe der Kaserne. Dort treffen sich die Veteranen und verbringen ihre alten Tage damit, sich an die glorreichen Zeiten ihrer Jugend zu erinnern. Ein ehemaliger Unteroffizier, der mal mit einer schottischen Einheit in Indien gekämpft hat, erkennt das Lied sofort:
»Ho... ho! Ja! Das kenn’ ich! Das ist ziemlich alt! Vor dem Krieg hab’ ich’s gehört!«
»Vor 1940?«
»Aber nein, junger Mann! Vor 1914!«
»Wissen Sie, wie es heißt?«
»Nein, das weiß ich nicht mehr, aber es ging um Colonel Bogey, ja! Colonel Bogey, das weiß ich noch genau!«
Leider ist Colonel Bogey für alle Briten eine mystische Gestalt. Ein Held, den es wahrscheinlich niemals gegeben hat, an den aber alle mehr oder weniger glauben. So etwas wie Kaiser Barbarossa.
Wenigstens hat Malcolm jetzt einen Namen in der Hand, aber wie und wo entstand die Legende um den rätselhaften Colonel Bogey?
Ein Golfspieler bringt Licht in diese dunkle Affäre: »Bogey... Bogey? Ha, auf allen Golfplätzen Indiens erzählte man von ihm. Er hätte mal dies und jenes getan, einmal hätte er sogar weniger Schläge gebraucht, als es überhaupt Löcher gibt! Soweit ich mich erinnern kann, hat ihn in Wirklichkeit nie jemand gesehen!«
Malcolm Arnold gibt sich nicht so schnell geschlagen. Er schreibt an alle Golfclubs, die es 1957 in Indien gibt und fragt nach dem Colonel Bogey, dessen Heldentaten in einem fröhlichen Marsch besungen wurden.
Aber seit Anfang des Jahrhunderts haben sich die Zeiten in Indien geändert, und selbst wenn dort Engländer noch Golf spielen, so sind es bestimmt nicht mehr dieselben. Die Überlebenden haben sich rar gemacht.
Malcolm erhält keine Antwort aus Indien, aber eines Tages meldet sich ein Greis in seinem Büro. Er kann sich kaum noch auf den Beinen halten und klammert sich fest an eine kleine, museumsreife Ledermappe:
»Mister Arnold, ich habe in der Zeitung gelesen, daß Sie den Komponisten von dem Marsch über Colonel Bogey suchen.«
»Ja, es stimmt.«
»Nun, ich kenne ihn, das heißt, ich kannte ihn sehr gut. Er war Colonel, schrecklich arrogant, eingebildet! Er spielte leidenschaftlich gerne Golf. Einmal haben wir uns beide gestritten. Niemand durfte das Clubhaus betreten, weil darin gebaut und gemalt wurde. Ich hatte den Auftrag, diese Bauarbeiten zu überwachen. Da kam dieser Colonel, und er tobte, weil er nicht spielen konnte. Da habe ich ihn mit drei Pfiffen hinauskomplimentiert.«
»Wie bitte? Unser Marsch?!«
»Nein, das heißt, noch nicht. Ich hab’ nur so dreimal gepfiffen, irgendwas!«
»Und dann?«
»Eine Woche später, bei der Eröffnungsfeier vom neuen Clubhaus, habe ich den Colonel wieder getroffen. Er war mir überhaupt nicht mehr böse, ganz im Gegenteil! Er hat mich begrüßt, als ob ich sein bester Freund wäre und er sagte mir:
>Alter Spencer, mit Ihren drei Pfiffen habe ich einen Marsch komponiert! Der Marsch des Colonels Bogey!< Ja, und er hat ihn am Klavier gespielt und alle im Club haben mitgepfiffen! Es war eine fröhliche Musik! Sie wurde dann sozusagen unsere Clubhymne! Später, als die schottischen Soldaten in Neu-Delhi in Garnison lagen, kamen ihre Offiziere oft zu uns, haben Golf gespielt und unsere Musik auch gepfiffen! Dann kam der Krieg...«
»Mister Spencer, wie heißt dieser Colonel?«
»Franck John Ricketts. Er war Offizier in der britischen Kolonialarmee. Wollen Sie ein Photo sehen? Ich habe eins mitgebracht.«
Der Greis holt eine große, vergilbte Photographie aus der verschlissenen Ledermappe — aufgenommen 1909 bei der Eröffnungsfeier des neuen Golf-Clubhauses. Die besten Spieler der noblen, kolonialen Gesellschaft stehen steif und ernst nebeneinander — britisch bis zu den Zehenspitzen.
»Der da in der Mitte, das ist Colonel Ricketts!«
Malcolm Arnold traut seinen Augen nicht. Dieser Colonel, das ist Alec Guinness! Gleiche Statur, gleiche Haltung, gleiches markantes Gesicht mit einem kleinen aggressiven Schnurrbart, mit starren Blick, ein wenig arrogant und der gleiche unverwechselbare britische Humor mit feierlicher Würde vermischt! Unglaublich! David Lean wußte genau, welche Musik zu einem britischen Offizier gehört.
»Was ist aus ihm geworden?«
»Das weiß ich nicht, ich weiß nur, wie der Komponist heißt: Franck John Ricketts.«
Nun dauert es allerdings noch eine Weile, bis Malcolm Arnold der englischen GEMA-Gesellschaft melden kann, wer die Millionen Dollar für den Marsch Brücke am Kwai bekommen soll. Denn in keiner Kartei der
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