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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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Anfrage bei der französischen Regierung ließ ihn das Außenministerium wissen, der einfachste Weg zur Erlangung der französischen Staatsangehörigkeit für Leute wie ihn bestünde darin, sich für fünf Jahre bei der Fremdenlegion zu verpflichten.
    Anfang 1926 geht Jean Primo also unter die Fremdenlegionäre, obwohl er das Militär haßt.
    Es war eine harte Zeit, doch Jean Primo hätte schon durchgehalten bei der Fremdenlegion — so stark war seine Liebe zu Frankreich! Er bleibt allerdings nur zehn Monate lang. Die Ausmusterungskommission von Casablanca entläßt ihn wegen Untauglichkeit: Er leidet an Malaria. Einige Monate später taucht er wieder in Marseille auf, fest entschlossen, alle Hebel in Bewegung zu setzen: Er will unbedingt Franzose werden. Vergebens. Ein Jahr lang schickt man ihn von Pontius zu Pilatus, und am Ende steht er genau dort, wo er zwei Jahre zuvor zum erstenmal an Land gegangen ist: Auf dem Marseiller Hafen, wo er leicht untertauchen kann und sich als Docker mit Löscharbeiten an den Kais und Molen durchs Leben schlägt. Bis zu dem Tag als er Ärger mit einem streitsüchtigen Matrosen bekommt. Ohne ersichtlichen Grund wirft ihm der Mann eines jener Schimpfworte an den Kopf, das jeden Südländer in Rage bringt: »Du dreckiger Bastard!« Zwei Kinnhaken, eine Gerade und der Matrose landet im Krankenhaus, Jean Primo im Gefängnis. »Haben Sie den Mann so schwer verletzt?«
    »Nein! Schon nach drei Tagen war er wieder auf den Beinen! Aber ich habe drei Monate lang gesessen und ich wurde auf Lebenszeit aus Frankreich ausgewiesen! Ich mußte binnen acht Tagen das Land verlassen. Ich wußte aber nicht... wohin? Ich durfte nicht einmal in die Türkei zurück. Das türkische Konsulat in Marseille beschlagnahmte den Immigrantenausweis mit der Begründung, ich sei vorbestraft! Ich stand also wieder einmal ohne Papiere da. Aber ich war nicht so leicht kleinzukriegen! Ich dachte mir: >Du mußt nach Istanbul! Du mußt zum Kloster gehen und mit der Oberin reden! Dort, an Ort und Stelle, muß man mir einen Ausweis ausstellen!<« Und wieder sticht Jean Primo in See, als blinder Passagier, versteckt im Maschinenraum eines türkischen Frachters mit Zielhafen Istanbul.
    Ein Heizer entdeckt Jean Primo und schleppt ihn zum Kapitän. Dieser zeigt keinerlei Verständnis für den angeblichen Türken, der sich in seiner Muttersprache nicht einmal halbwegs verständigen kann! In Istanbul liefert er ihn sofort der Hafenpolizei aus. Ein Monat Gefängnis. Und alle Gesuche an die türkischen Behörden erweisen sich als sinnlos. Niemand ist bereit, ihm seine verrückte Geschichte abzunehmen. Ja, man lacht ihn sogar aus. Aber Jean Primo ist zäh. Vier Wochen Gefängnis, na wenn schon! Er ist in Istanbul, das ist die Hauptsache. Sobald er aus dem Gefängnis kommt, wird er zur Oberin gehen und mit ihr zusammen zur Regierung. Es wird schon klappen. Es muß!
    Am Abend vor seiner Freilassung überbringt ihm der Oberaufseher ein offizielles Schreiben der Einbürgerungsstelle. Darin steht:
    »Sie wurden katholisch getauft und erzogen. Sie können die türkische Staatsangehörigkeit also nicht erlangen. Unsere Staatsreligion ist der Islam. Zweitens ist nicht festzustellen, ob Sie tatsächlich in Istanbul geboren wurden. Drittens haben Sie freiwillig die Türkei verlassen. Viertens sind Sie mehrmals vorbestraft. Demzufolge werden Sie des Landes verwiesen. Morgen begleitet Sie die Polizei direkt vom Gefängnis zu dem Schiff, das wir für Sie ausgesucht haben. Es läuft mehrere ausländische Häfen an. Von uns aus dürfen Sie von Bord gehen, wo es Ihnen beliebt. In Italien vielleicht. Wenden Sie sich doch an den Vatikan!«
    Ein boshafter, ironischer Brief. Aber mit der Ausweisung ist es bitterernst gemeint. Und am nächsten Tag, begleitet von zwei Polizisten, geht Jean Primo ausgerechnet an Bord des Frachters, mit dem er vor einem Monat in Istanbul eingelaufen war. Der Kapitän steht an Deck und begrüßt ihn höhnisch:
    »Willkommen an Bord! Wohin geht die Reise?«
    Wohin schon? Nach Marseille selbstverständlich. Vorausgesetzt, erschafft es, dort an Land zu gehen, bevor die Hafenpolizei ihn festnimmt. Nur in Marseille hat er eine Chance unterzutauchen. Er spricht fließend französisch und außerdem hat er dort noch ein paar Freunde, die ihm bestimmt helfen werden.
    Ja, das tun sie auch — zwei Tage lang. Dann taucht die Fremdenpolizei auf: vier Wochen Gefängnis wegen Verstoßes gegen den Ausweisungserlaß!
    Dieses Trauerspiel

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