Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
Vom Netzwerk:
begangen: Sie sind illegal in die USA eingereist! Sie haben einen Menschen in Texas getötet, klar. Und Sie wurden für diese Tat von einem texanischen Gericht verurteilt. Auch klar. So schreibt es das Gesetz vor. Aber die illegale Einreise in die USA ist ein direkter Verstoß gegen das Bundesgesetz der Vereinigten Staaten. Und das hat absoluten Vorrang vor allen anderen Gesetzen der verschiedenen Staaten! Das ist Ihre Chance! Sie müssen sich also selbst anzeigen, selbst sagen, daß Sie gar kein Amerikaner sind und illegal eingereist sind — und vor allem müssen Sie die Leute anzeigen, die Ihnen falsche Papiere ausgestellt haben!< Nun, ich hatte nichts zu verlieren, da habe ich alles getan, was er wollte. Ich habe lauthals überall verkündet: >Ich bin nicht Douglas Griffith! Ich bin ein türkischer Immigrant ohne Visum und ohne Paß, ich bin in Europa vorbestraft! Ich bin kein Amerikaner. Und ob Sie es glauben oder nicht — es hat funktioniert. Die riesige Verwaltungsmaschine setzte sich in Bewegung, die texanischen Behörden haben getobt, aber sie konnten nichts machen: Gesetz ist Gesetz. Sie hatten einen Mann verurteilt, den es im Grunde gar nicht geben durfte. Nicht Douglas Griffith hatte sich schuldig gemacht, sondern Jean Primo, damals, am 6. August 1940 in New York. Die neue Anklage lautete nun auf illegale Grenzüberschreitung, und ich wurde aus den USA ausgewiesen! Ja, das ist amerikanische Logik: Zuerst des Landes verweisen, und erst dann wieder ins Gefängnis. Aber wo und wie, wenn ich nicht mehr im Lande bin? Darum kümmert sich eben INTERPOL! Wie dem auch sei, ehe ich mich versehe, bin ich wieder in New York an Bord eines Handelsschiffes und ich verlasse Amerika. Ganz offiziell, ganz legal! Ich wußte allerdings nicht, wohin die neue Reise ging.«
    »Und... wohin ging die Reise?«
    »Nach Hongkong.«
    »Welche Route? Welche Anlaufhäfen?«
    »Panama, Honolulu, Yokohama, Taipeh und Hongkong.«
    »Ich verstehe. Alle an INTERPOL angeschlossenen Staaten.«
    »Genau. Das war von vornherein ein abgekartetes Spiel. Die INTERPOL-Beamten in Washington haben das Generalsekretariat in Paris eingeschaltet, und von dort aus wurden dann in allen Anlaufhäfen die Nationalen Büros von INTERPOL benachrichtigt. Ich konnte nirgendwo an Land gehen.«
     
    Nach einer endlosen Seereise um die halbe Welt kommt Jean Primo also eines Tages in Hongkong an, wo das Schiff gleich aufs Trockendock gelegt werden muß. Jetzt war die Reise zu Ende, sollte man annehmen. Aber es kam wieder einmal ganz anders. Die Polizei von Hongkong — die britische Polizei Seiner Majestät, verhängte sofort ein Einreiseverbot gegen Jean Primo, und noch bevor INTERPOL eingreifen konnte, kletterten die britischen Polizisten auf das Schiff und brachten Jean Primo zu einem anderen Schiff, einem ganz kleinen. Die Tailoy war eine Nußschale verglichen mit all den großen Dampfern, auf denen Jean Primo sein Leben lang quer durch die Weltmeere gekreuzt war. Sie überquerte jeden Tag die Bucht von Canton — Pendelverkehr zwischen der britischen Kolonie Hongkong und der portugiesischen Überseeprovinz Macao. »Dort nehmen sie es mit den Gesetzen nicht so genau«, sagten die Briten, »Sie können von Glück reden! Die Portugiesen werden Sie kaum an die USA ausliefern, und in Macao, da kann jeder untertauchen! Ein wahres Eldorado für Leute wie Sie!«
    Die Tailoy ist ein kleines Schiff, aber recht bequem und gastfreundlich. Sie ist ausschließlich für touristische Zwecke bestimmt, ausgestattet für kurze Vergnügungsfahrten. Als sie Hongkong verläßt, schöpft Jean Primo erneut Hoffnung. Er fühlt sich frei wie schon seit langem nicht mehr und betritt sogar das Restaurant. Es ist nur ein einziger Tisch frei. Er setzt sich und bestellt ein Glas Wasser. Kurz darauf kommt ein etwas dicklicher, jovialer Mann an seinen Tisch und fragt höflich, ob er Platz nehmen dürfe. Selbstverständlich darf er. Er bestellt einen Whisky, wird prompt bedient, leert das Glas mit einem Zug und stellt sich vor. Er ist gebürtiger Schotte, war früher Ingenieur und kam eines Tages beruflich nach Hongkong. Da war es um ihn geschehen. Er verfiel sofort der fernöstlichen Faszination dieser Stadt mit ihren tausend Gesichtern und beschloß, nie wieder nach Europa zurückzukehren. Nachdem er lange genug alle Vorzüge des asiatischen Lebens genossen hatte, suchte er eine Stelle und er fand auch gleich eine: Er ist der Kapitän auf der Tailoy.
    »Sie trinken doch nicht etwa Wasser?«

Weitere Kostenlose Bücher