Depesche aus dem Jenseits
Könnte er nicht ein Schauspieler aus dem Stück sein, das Sie gerade gesehen haben?«
»Nein, unmöglich! Das Stück spielte in London während des Zweiten Weltkrieges.«
»Gut, danke. Sie können gehen. Und gehen Sie jetzt alle! Hier gibt’s nichts mehr zu sehen! Machen Sie endlich die Straße frei!«
Erst als der Krankenwagen mit dem toten Mann um die Ecke verschwunden ist, löst sich die neugierige Menge auf. Der Inspektor beruhigt noch den Taxifahrer, schreibt seine Personalien auf und bittet ihn, freundlich aber bestimmt, um seine Autoschlüssel:
»Lieber Mann, in Ihrem Zustand ist es besser, wenn Sie sich heute von einem Kollegen nach Hause fahren lassen! Kommen Sie morgen ins Revier.«
»O. K., Herr Inspektor, danke. Also, bis morgen.« Fergusson und der junge Polizist sind nun endlich allein: »Haben Sie die Papiere?«
»Wie man’s nimmt! Das hier habe ich in seiner Tasche gefunden.«
»Nur eine Visitenkarte? Sonst nichts?«
»Ich dachte, es genügt zuerst mal. Ich konnte ihn nicht durchsuchen, ich war allein hier und hatte alle Hände voll zu tun.«
»Ist schon gut.«
Es ist eine interessante Visitenkarte. Genauso altmodisch wie die Kleidung des Mannes. Darauf steht: »Rudolph Fentz«, und eine Adresse in der Fifth Avenue. Der Inspektor fährt sofort hin und steht wenig später vor einem kleinen Antiquitätenladen. Das Geschäft ist geschlossen, aber im ersten Stock brennt noch Licht. Fergusson muß mehrmals klingeln, bis die Besitzerin des Ladens sich endlich nach unten bemüht, sichtlich verärgert über die Störung: »Rudolf Fentz? Kenn’ ich nicht!«
»Aber, schauen Sie! Auf seiner Visitenkarte steht deutlich diese Adresse.«
Die Frau setzt ihre Brille auf, dreht die kleine Karte hin und her und liest laut Namen und Adresse. Dann schaut sie hoch, sehr erstaunt:
»Tut mir leid, Herr Inspektor, aber diesen Namen habe ich noch nie gehört!«
»Wie lange wohnen Sie schon hier?«
»Seit achtzehn Jahren.«
»Und Sie wissen nicht, wem der Laden früher gehört hat?«
»Dieses Geschäft ist uralt. Ich habe keine Ahnung, wann es gegründet wurde, oder von wem. Es hat oft den Besitzer gewechselt!«
»Darf ich Ihr Telefonbuch benützen?«
»Bitte, kommen Sie hinauf.«
Einen Rudolph Fentz gibt es nicht in dem dicken New Yorker Telefonbuch des Jahres 1950. Fergusson wundert sich nicht, er ist nur ein wenig enttäuscht.
Am nächsten Morgen fährt er nicht ins Revier, sondern direkt ins Leichenhaus. Dort übergibt man ihm einen Beutel mit den persönlichen Dingen, die bei dem Toten gefunden wurden: Eine schon seit langem nicht mehr im Umlauf befindliche Bronze-Münze, eine Rechnung über drei Dollar, von einem Stall in der Lexington Avenue, für die Verpflegung eines Pferdes und das Unterstellen eines Pferdewagens, alte ungültige Geldscheine im Wert von siebzig Dollar und schließlich ein Brief, an Rudolph Fentz adressiert. Auf dem Kuvert — ein Poststempel aus dem Jahr 1886, Juni 1886! Also genau 64 Jahre alt! Fassungslos steckt Fergusson all diese Schätze aus grauer Vergangenheit wieder in den Beutel, begibt sich eilends damit zum Revier und hängt sich ans Telefon. Der Beamte der Fingerabdruck-Zentralkartei leiert gleichgültig seinen Bericht herunter:
»Wir haben die Fingerabdrücke Ihres Komikers kontrolliert. Bei uns in New York haben wir nichts gefunden. Ich habe nach Washington telegraphiert, tut mir leid, Inspektor, Ihr Mann muß ein braver Bürger gewesen sein. Uns ist er jedenfalls nie untergekommen!«
In den Archiven der New Yorker Hauptpost blättert sich Fergusson zwei Stunden lang die Finger wund. Alle Telefonbücher der vergangenen Jahre hat er schon durch: 1949 — nichts. 48 — nichts. 47, 46, 45... nirgendwo die Spur eines Rudolph Fentz. 1939... da steht er endlich! Rudolph Fentz Junior, 12 Market Street — und dazu eine Telefonnummer selbstverständlich. Sie hilft dem Inspektor allerdings nicht viel weiter, denn im Laufe der letzten zehn Jahre wurden alle Nummern in New York geändert. Aber immerhin, jetzt hat er etwas in der Hand — eine neue Adresse. Und die Straße gibt es noch. Dort wird Inspektor Fergusson endlich dem Mann mit den Schnallenstiefelchen auf die Spur kommen!
Das Haus mit der Nummer 12 in der Market Street war baufällig und wurde von oben bis unten saniert und renoviert. Eine Katastrophe für die meisten Bewohner: Die Mieten wurden danach so erhöht, daß niemand mehr in der Lage war, die neuen Preise zu bezahlen. Nur ein altes Ehepaar konnte
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