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Depesche aus dem Jenseits

Depesche aus dem Jenseits

Titel: Depesche aus dem Jenseits Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Bellemare
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hängt ein wenig schief und auch der Kragen könnte besser sitzen. Sonst — tadellos. Eine Kleinigkeit allerdings macht den Taxifahrer stutzig: Der Mann will verreisen, hat aber überhaupt kein Gepäck bei sich. Nicht einmal den obligatorischen Aktenkoffer, den Geschäftsleute sonst überall mit sich herumtragen. Und obwohl ihm anscheinend völlig gleichgültig ist, wohin er fährt, schaut er dauernd auf seine Uhr.
    »Haben Sie es eilig? Soll ich schneller fahren?«
    »Lieber Mann, man hat es oft eilig im Leben, aber das ist nur eine Sache der Einstellung, finden Sie nicht auch? Nein, Sie brauchen nicht schneller zu fahren. Man kommt immer an. Irgendwann — sozusagen...«
    Der Fahrer zieht es vor, von nun an zu schweigen. Es hat keinen Sinn, sich mit solchen Fahrgästen zu unterhalten, nicht einmal über das Wetter! Zehn Minuten später hält der Wagen vor dem Busbahnhof. Der Mann steigt aus, zahlt mit einem großen Schein und winkt großzügig ab, als der Fahrer ihm sein Wechselgeld geben will: »Behalten Sie es nur. Wenn man eine Stadt verläßt, ist Kleingeld unwichtig. Lästig. Finden Sie nicht auch?«
    »Das kommt drauf an! Aber, na gut, vielen Dank!«
    »Nichts zu danken. Es kommt immer und überall darauf an... sozusagen.«
    »Also, gute Reise!«
    »Wenn jeder, der einem eine gute Reise wünscht, es ehrlich meinte, gäbe es keine Katastrophen mehr, finden Sie nicht auch? Aber die Katastrophe ist eigentlich die Welt selber... sozusagen.«
    Und weg ist er, verschwunden im Gewühl der Busreisenden. In der Halle bleibt er vor der Tafel mit den Abfahrtszeiten stehen und studiert eingehend jede Möglichkeit, die Stadt zu verlassen. Vom ersten Pendlerbus im Morgengrauen bis zum letzten Pullmann Palace Car für die begüterten Nachtreisenden.
    Eine kleine schrumpelige Bauersfrau steht neben ihm, die Nase an der Scheibe plattgedrückt, und versucht vergeblich die kleingedruckten Zeiten zu entziffern. »Gnädige Frau, erlauben Sie mir, Ihnen behilflich zu sein.«
    »Oh, sehr aufmerksam von Ihnen, meine Brille ist im Koffer. Was steht da? 14 Uhr 25 oder 35?«
    »14 Uhr 25, Haltestelle 8.«
    »Danke. Alte Leute wie ich haben immer Angst, zu spät zu kommen.«
    »Ja. Dabei kommen sie früh genug an, am Ende der Reise. Sozusagen.«
    »Wie bitte?«
    »Es ist gut für den Menschen, zu früh zu kommen, finden Sie nicht auch? Zu früh zu kommen, das bedeutet Hoffnung haben, auf etwas warten, bis die Zeit kommt, sozusagen.«
    »Ja, ja, vielen Dank.«
    Unser Mann hat anscheinend noch genug Zeit — also noch Hoffnung — denn er schlendert gemächlichen Schrittes zum Busbahnhofsrestaurant und bestellt einen Kaffee. Doch als der Ober ihn gleich darauf auf den Tisch stellt, springt der Mann auf und rennt los.
    »Heh! Sie! Was ist mit dem Kaffee?«
    »Behalten Sie ihn ruhig! Ich habe ihn ja nicht getrunken!«
    »Aber auch nicht bezahlt!«
    »Wer keine Zeit hat, einen Kaffee zu trinken, hat auch keine Zeit, ihn zu bezahlen. Nur wer Zeit hat, ist reich! Finden Sie nicht auch?«
    Der vornehme Mann muß arm sein, denn er rennt wie verrückt, um den Bus, der gerade vor dem Restaurant losfährt, noch zu erwischen:
    »Halten Sie an! Warten Sie!«
    In letzter Sekunde springt er auf und klammert sich an die Griffe der schon geschlossenen Tür. Der Busfahrer hält an, drückt auf einen Knopf und die Tür öffnet sich mit einem ächzenden Seufzer. Der Schaffner hilft dem Mann einzusteigen:
    »Haben Sie schon eine Fahrkarte?«
    »Nein. Geben Sie mir eine.«
    »Wohin wollen Sie?«
    »Was für eine Frage! Nach Mailand selbstverständlich!«
    »Dieser Bus fährt aber nicht nach Mailand.«
    »So? Und wo fährt er hin?«
    »Nach Allessandria. Und er hält in jedem Dorf! Wenn Sie nach Mailand wollen, nehmen Sie den Schnellbus in zehn Minuten. Der bringt Sie direkt hin, ohne Umwege.«
    »Der direkte Weg ist nicht der Sinn einer Reise, finden Sie nicht auch? Der Umweg ist die Reise, sozusagen. Geben Sie mir eine Fahrkarte nach Allessandria.« Ziemlich verdutzt reißt der Schaffner eine Fahrkarte von seinem Block ab. Der Mann gibt ihm einen großen Schein. Während der Busbeamte sorgfältig das Wechselgeld abzählt, flüstert ihm der Mann ins Ohr, als handele es sich um ein großes Geheimnis:
    »Sagen Sie, gibt es in Allessandria Lokomotiven?«
    »Sie meinen, Züge?«
    »Züge? Nein, warum? Eine Lokomotive genügt doch!«
    »Aber ich bitte Sie! Lokomotiven fahren immer nur mit einem Zug.«
    »Das ist es eben! Aber nur die Lokomotive ist wichtig. Ohne

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